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einem, wenn auch nur wenig verändertem Zusammenhange nicht
mehr völlig derselbe ist.
Der Geist ist demnach ein Gliederbau von in Rückverbundenheit
festgehaltenen Setzungen, deren er einen Teil immer wieder zurück-
nimmt und immer wieder neu ausgliedert — die U m g 1 i e d e -
r u n g. Alle Umgliederung kann man, als Rücknahme, auch Ver-
jüngung (Reduktion) nennen. Nur nach Maßgabe fortwährender
Rücknahme und Neuausgliederung ist der Geist frischlebendig,
jung. Alles Sein ist jung.
In Rücknahme und Neuausgliederung bezeugt sich eine Natur
des Geistes, welche allem Mechanischen entgegengesetzt ist, bezeugt
sich das Schöpferische des Geistes. Kein Geist ohne Schöpfertum.
Im Fortgange der Rücknahme und Neuausgliederung zeigt sich
aber noch eine andere Grundtatsache, die lautere Wirklichkeit, der
Actus purus (dessen Wesen schon früher erklärt wurde
1
). Indem
nämlich der Geist einige Ausgliederungen zurücknimmt und die
andern beharrend festhält, tritt dieses Festgehaltene nicht in die
Möglichkeit zurück, sondern bleibt Wirklichkeit, bleibt ausgeglie-
dert. Und eben dieses Ausgegliedert- oder Gegenwärtigbleiben ist
Actus purus. Im Verlaufe des schrittweisen Denkens z. B. dürfen die
jeweiligen Voraussetzungen und Mittelglieder einer Schlußkette
nicht fallengelassen, nicht vergessen werden, also nicht durch Rück-
nahme aus dem Denken verschwinden, sondern sie müssen stets
„mitgedacht“, „festgehalten“ werden — wäre das nicht der Fall, so
würde der Schließende im Fortgange der Schlüsse den Faden ver-
lieren, sich in Widersprüche verwickeln. Nur wenn alle bisherigen
Gedankenglieder erhalten bleiben, kann der Schluß richtig aus-
fallen. Gerade dieses „Mitdenken“, „Erhaltenbleiben“ des Früheren
ist Actus purus.
/
B. Die U m g l i e d e r u n g s o r d n u n g u n d i h r e
K a t e g o r i e n
Der Begriff der Umgliederung sagt uns, daß die führende lautere
Tätigkeit (der Actus purus) jeweils von schon ausgegliederten Ganz-
1
Siehe oben S. 148.