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philosophische Deduktion, die Frucht innerlicher Wesens- und
Ideenschau!
Aus dieser Schau mag er die Kraft empfangen haben, gegen den
von Individualismus und Empirismus verseuchten Zeitgeist kamp-
fesfreudig zu Felde zu ziehen, und sich die dazu notwendigen Werk-
zeuge und Waffen der Begriffe und des Systems mit nimmermüden
Händen selbst zu schmieden. Sie verlieh ihm den zielsicheren un-
fehlbaren Blick für das Wesen der Dinge. So konnte er ein Lebens-
werk schaffen, an welchem sonst Generationen zu bauen gehabt
hätten. Das Erstaunlichste dabei ist, daß Spann, nachdem er einmal
auf dem unerschütterlichen Fundament seiner Kategorienlehre auf-
und weiterbauen konnte, nichts, überhaupt nichts Grundsätzliches
zurückzunehmen oder abzuändern brauchte! Wie beim Wachstum
eines von Wetterstürmen umbrausten, doch von Gesundheit strot-
zenden Baumes reihte sich Jahresring um Jahresring, reifte das
innere Leben, der überaus breiten Krone und ihren reichen Blüten
immer neue Entfaltungskraft zuführend. Dieser Baum gleicht der
Weltesche, die ihre Wurzeln nicht in dem Boden des Irdischen, son-
dern in dem Geistesgrund des Ideenreiches hat und ihre Wipfel über
die Erde herabsenkt
1
. Mit seltener Fülle und Klarheit philosophi-
scher Systematik hat Spann das Untere aus dem Oberen entwickelt,
und das Unterste dem Obersten wiederum rückverbunden.
Er hat uns den Blick geöffnet für die große Erkenntnis, daß das
Schöpfertum des Weltenbauers sein irdisches Gegenbild findet im
Schöpfungsgange des Geistes! Indem der menschliche Geist, nach
des Schöpfers Bilde in die Welt gesetzt, sich aus dem welterhaltenden
Urgrunde in seinem Wesen immer wieder bestätigt und erneuert
findet, muß er selbst schaffen und wirken nach der Bestimmung, die
ihm aufgegeben: nach der Weise von Schöpfertum, Ebenbildlichkeit,
Persönlichkeit.
1
Dieses tiefsinnige Bild aus der germanisdien Mythologie wird von Spann
als ganzheitliches Symbol für die Gliederung der Geistes- und Ideenwelt gerne
herangezogen (Siehe z. B.: Der Schöpfungsgang des Geistes, S. 235 und 442 f.).
Wohl kein treffenderes und schöneres könnte man finden für die Ganzheitslehre
selbst.