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Geisteswissenschaften seiner Zeit so gerne auswichen, ließen Spann
einen Weg finden und zu Ende gehen, den in der Geschichte der
Wissenschaften und der Philosophie nur wenige durchzuhalten ver-
mochten. Daß sich in der ersten Fassung der Gesellschaftslehre (1914)
erst keimhafte Ansätze des späteren Systems zeigen konnten, war
bei der damaligen Lage der Geisteswissenschaften auch für Spann
nicht anders möglich, dem Ehrfurcht für das Überlieferte tief ein-
geprägt war.
Doch schon nach einem Jahrzehnt war das System voll ausgereift.
Die K a t e g o r i e n l e h r e (1924) läßt uns sehr einsichtig das
ganzheitliche Gefüge der Welt erkennen. Bereits während der Ar-
beiten für dieses erste philosophische Werk muß Spann auch der
entscheidende Blick in das Wesen des Geistes gelungen sein. Denn im
gleichen Jahr erscheint der nicht nur für die spätere endgültige
Fassung der Gesellschaftslehre
1
maßgebende, sondern auch für die
Geisteslehre grundlegende Aufsatz über „V o r r a n g u n d G e -
s t a l t w a n d e l
i n
d e r
A u s g l i e d e r u n g s o r d n u n g
d e r G e s e l l s c h a f t “ . Er schlägt auch bereits eine Brücke von
der Gesellschaftslehre (der Lehre vom objektiven Geist) zu der
Lehre vom subjektiven Geist. Eine solche Lehre wird sodann im
Jahre 1928 im und als „ S c h ö p f u n g s g a n g d e s G e i s t e s “
vorgelegt.
In diesem Werke hat Spann den für die Geisteslehre so bedeut-
samen Schritt getan: Er stellt ihr die Grundzüge einer N a t u r -
p h i l o s o p h i e gegenüber. Indem er dabei erstmalig in der Ge-
schichte der Philosophie die Natur als eine dem Geiste mit ihren
immateriellen Wurzeln innigst verbundene, in ihrer Räumlichkeit
aber konträr entgegengesetzte Welt aufzuzeigen vermag, setzt er
einer Entwicklung das Ziel, welche in der griechischen Philosophie
anhebt, in der Neuzeit seit Descartes zur schicksalhaften Proble-
matik wird und im deutschen Idealismus nur einen vorläufigen und
unbefriedigenden Abschluß finden kann. „Die stoffliche Welt ent-
steht dadurch, daß sich vorstoffliche Wesenheiten oder Urqualitäten
in ihrer eigenen Tat verräumlichen ... Der Geist kann sich nicht
verräumlichen, er denkt.“
2
Damit ist eine scharfe, unumgängliche
1
Othmar Spann: Gesellschaftslehre, 3. Aufl., Leipzig 1930.
2
Othmar Spann: Der Schöpfungsgang des Geistes, Jena 1928, S. 360.