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Trennungslinie zwischen Natur und Geist gezogen, dadurch allein
jeder Rückfall in Naturalismus ebenso wie auch jeglicher Spiritua-
lismus, von dem so viele große idealistische Lehren leider nicht
ganz frei sind, vermieden; damit erst das Feld abgegrenzt für eine
vollkommen geläuterte Geisteslehre.
Als Gegenstück zu der im „Schöpfungsgang des Geistes“ erst-
malig entwickelten Geisteslehre erscheint im gleichen Jahre die
G e s e l l s c h a f t s p h i l o s o p h i e , in welcher nun die Teil-
inhalte des objektiven und die Stufen des subjektiven Geistes
nebeneinander zu stehen kommen, ohne daß auf die Frage der Ent-
sprechungen zwischen beiden eingegangen wird. Aber noch ein
weiteres philosophisches Gebiet war auszuschreiten, ehe eine Pneu-
matologie der ganzen lebendigen Fülle des Geistes gerecht werden
konnte. Denn dieser erstrahlt nicht in ewig gleicher Unbeweglich-
keit, sondern muß seine Selbstmächtigkeit erst durch ständige Be-
währung und Entfaltung finden. Das Leben des Geistes ist Ge-
schichte. In der G e s c h i c h t s p h i l o s o p h i e
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hatte Spann
inzwischen auch die in der Kategorienlehre bereits grundgelegten
Weisen für die Umgliederung des Geistes weiter entwickelt und
systemgerecht ausgebaut.
Mit Bewunderung kann man in dieser Entfaltung seiner Lehre
einen Zug in Spanns Art zu Werke zu gehen erkennen, einen Zug,
der mehr noch im persönlichen Gespräch in Erscheinung trat: Die
unerwartete Kühnheit der Gedanken war doch gehalten von einer
erstaunlichen Selbstbeherrschung und Behutsamkeit. Spann sprach
nichts aus, das sich ihm nicht zu letzter Klarheit geformt hatte. Und
was er sagte, war getragen von einer traumwandlerischen Sicher-
heit. In den Frühwerken schon deckte sein feiner Sinn für die
Wesenszusammenhänge das Problematische in den damaligen Gei-
steswissenschaften auf, ebenso aber auch ihre eigentlichen Pro-
bleme. Spann formulierte treffsichere Begriffe, die sich erst einer
späteren Analyse ganz aufschlossen. Überhaupt war der Weg seines
Verfahrens der des strengen Analytikers. Seine Zurückhaltung stellte
nicht selten als analytischen Befund hin, was in Wahrheit — viel-
leicht nicht immer voll bewußt — bereits viel mehr war: höchste
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Othmar Spann: Geschichtsphilosophie, Jena 1932.