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dargestellte „Beziehungen“, keinesfalls ein Wesen, das Gegen-

stand der Physik sein könnte. So rühmt sich denn auch seit je

die mathematische Physik, daß sie nicht die Natur zum Gegen-

stande habe, sondern nur Komplexe von Beziehungen, die einem

Gebiete angehören, welches die frühere Denkweise „Natur“

nannte. Die wesensgemäßeste Annahme für diesen Standpunkt

ist daher die Unendlichkeit, denn das heißt Undinglichkeit der

Welt, die auch bis vor kurzem unbeschränkt in der Physik galt.

Wenn neueste Sachbefunde und Wendungen der physikalischen /

Lehrbegriffe darauf hinweisen, die Welt als endlich aufzufassen,

so ist das für die mathematische Physik eine Verlegenheit, denn

es widerspricht ihrem grundsätzlich alle Dingbegriffe auflösen-

den Verfahren.

III.

Vorläufige Erörterung des Gestaltbegriffes

Die neuzeitliche Physik kann ihrem ganzen Verfahren nach

wie den Begriff des Dinges, so auch den Begriff der Gestalt nicht

gelten lassen. Die räumliche Gestalt ist für die mechanistisch-

mathematische Physik grundsätzlich bedeutungslos. Denn Gestalt

ist ja weder bloße Menge noch bloße Beziehung, sondern eine

selbständige Einheit. Beziehungen, die nur mengenhaft erfaßt

werden, sind gegen jede Raumgestalt grundsätzlich gleichgültig.

Die rein größenmäßigen Unterschiede, z. B. von Druck, Tem-

peratur, elektrischer Ladung, Höhenlage schwerer Körper, Ge-

schwindigkeiten, Massen, Entfernungen, von denen die Physik

ausgeht, können nirgends auf die Raumgestalt wesenhaften

Bezug nehmen.

Der Versuch, die gestaltlichen Erscheinungen als Gegenstand der m a t h e -

m a t i s c h e n Physik nachzuweisen, konnte daher nicht gelingen. Wolfgang

K ö h l e r , der diesen Versuch unternahm

1

, führt besonders das Beispiel der

Verteilung der Elektrizität auf der Oberfläche eines Leiters an

2

, etwa eines

Ellipsoides. Diese Verteilung, sagt er, habe das Wesen einer Gestalt, weil sie

stets als Ganzes gegeben sei. Sie bleibe dieselbe, wenn auch die Größe der La-

dung sich ändere, sie sei also „transponierbar”, ähnlich wie eine Melodie.

In Wahrheit handelt es sich hier aber nur um eine physikalische Resultanten-

bildung, welche mathematisch von den Teilchen her, also von unten hinauf,

erklärt wird, keineswegs um eine „Gestalt”, eine Ganzheit! Das folgt schon

1

Wolfgang Köhler: Die physischen Gestalten in Ruhe und im stationären

Zustand, Eine naturphilosophische Untersuchung, Erlangen 1924.

2

Köhler: Die physischen Gestalten, S. 50, 54ff., 61ff. und öfter.