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denken muß, die weder tönt noch leuchtet (da das alles nur Be-
wegungs- oder Lagerungsformen wären), daß sie daher zu einer
toten, sinnlosen Natur kommt, die in allem eine blind-notwendige
„Resultante“ des Zusammengeratens und Auseinandergeratens
von Atomen ist — so ist dieser Einwand nicht etwa nur natur-
philosophischer Art, während die „empirische Forschung“ sich
darum nicht zu kümmern hätte. Denn die empirische Forschung
darf sich keinesfalls einen widerspruchsvollen Gegenstand bauen,
den es nicht geben kann.
Die n e u e s t e P h y s i k nun gelangte zur Zerlegung der
einfachen alten Atome. Den mächtigsten Anstoß gaben die radio-
aktiven Stoffe, die in der sogenannten a-Strahlung ein positiv-
elektrisch geladenes Gas aus sich herausschleudern. Man nahm
daher an, daß die Atome von beweglichen Teilen mit elektrischen
Ladungen umgeben seien
1
. Das führte zur Unterscheidung von
Kern und / Elektronen, etwa nach Art von Planetensystemen
(Niels Bohr, dessen „Modell“ heute allerdings nur noch als erste
Annäherung und auch nicht mehr im anschaulichen Sinne ge-
nommen wird!). Es leuchtet ein, daß in begrifflicher Hinsicht
die Sachlage dadurch nur noch schwieriger wurde. W ä h r e n d
d e r a l t e A t o m b e g r i f f f o l g e r i c h t i g w a r —
qualitätlose, in sich homogene Teilchen, die durch den leeren
Raum voneinander getrennt sind —, ist der n e u e A t o m -
b e g r i f f n i c h t m e h r f o l g e r i c h t i g ! Denn die Teil-
chen sind nun verschieden, und der Raum ist nicht mehr leer,
notgedrungen werden in ihn elektrische Felder eingeführt, also
—
ein Kontinuum! Ohne leeren Raum ist aber jeder Atombegriff
sinnlos. Es ist ja gerade der Zweck des Atombegriffes, das
Kontinuum zu verneinen, denn nur dadurch kann das letzte
Teilchen verselbständigt, kann es eigener „Baustein“ werden;
anders gefaßt, hinge es nämlich vom Ganzen ab, würde es also
i
1
Vgl. den Aufsatz Materie von Gustav Mie im Handwörterbuch der Natur-
wissenschaften, Bd G, Jena 1912, S. 764f., 767f. Mie sagt hier auch: „Die chemischen
Umwandlungen bestehen... darin, daß sich die Atome, aus denen die Mole-
küle bestehen, in andere Gruppierungen, zu anderen Molekülen umlagern...
Nach der Atomtheorie entstehen demnach alle Veränderungen in der Welt nur
dadurch, daß die unveränderlichen Atome sich bewegen, umlagern, neu grup-
pieren. Dabei können weder Atome verschwinden noch neu entstehen.” (S. 765.)
—Diese Sätze gelten in der jüngsten Physik ebenso wie damals, wenn auch heute
das innere Gefüge des Atoms noch vielfältiger erscheint, als es Mie damals
deutete.