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lichungen. Dieses Ineinander von Verräumlichungen bildet, wie

schon gezeigt, eine durchaus begreifliche und verständliche

Entsprechung der gegenseitigen Einwohnung auf geistigem

Gebiete in der Gezweiung.

Zum Beweise dafür, daß die Annahme eines Ineinander von Verräum-

lichungen und der daraus folgenden Durchdringlichkeit als Grunderscheinung

der Materie nichts Wirklichkeitsfremdes an sich habe, führen wir die Ansichten

des größten Meisters auf dem Gebiete des physikalischen Versuches, Michael

F a r a d a y s , an. Die Meinung Faradays darf um so höher eingeschätzt werden,

als sie offensichtlich nicht das Ergebnis begrifflicher Folgerungen ist, sondern

einzig und allein auf dem beruht, worin die Stärke des Genies dieses Mannes

lag: auf der A n s c h a u u n g . Ein lebenslanger Umgang mit der Natur auf

dem Wege des Versuches und eine innige Naturverbundenheit führte Faraday

zu seinen Ansichten. Von Faraday berichtet sein Lebensbeschreiber John Tyndall:

Faraday „leugnet, wie Boscovich, das Atom und setzt ein ,Kraftcentrum’ an

dessen Stelle. Mutig und gerade heraus, wie gewöhnlich, treibt er seine Folgerungen

bis zu ihren äußersten Consequenzen. .Diese Ansicht von der Beschaffenheit

der Materie’, fährt er [Faraday] fort, .würde notwendig den Schluß nach sich

ziehen, daß die Materie den ganzen Raum, oder wenigsten allen Raum, auf

welchen die Schwere sich ausdehnt, erfüllt; denn die Schwere ist eine Eigen-

schaft der Materie, welche von einer gewissen Kraft abhängt, und diese Kraft

eben constituirt die Materie. Von diesem Gesichtspunkte aus ist die Materie

nicht nur gegenseitig durchdringlich

1

, s o n d e r n j e d e s e i n z e l n e A t o m

d e h n t s i c h s o z u s a g e n d u r c h d a s g a n z e S o n n e n s y s t e m

a u s , doch so, daß es immer sein eigenes Kraftcentrum beibehält.

1 2

/

Als Merkmal dieser durchaus anschaulichen, durch geniale Einfühlung Fa-

radays errungenen Vorstellung vom Wesen der Materie kann man bezeichnen:

1.

Stetigkeit an Stelle einer Vorstellung voneinander getrennter Atome (die

im leeren Raum wären);

2.

die einzelnen Teilchen dieser stetig gedachten Materie sind nicht zuerst

als Masse, sondern als Kraft (Kraftzentrum) zu denken;

3.

die Reichweite jedes Kraftzentrums beschränkt sich nicht auf die un-

mittelbare Umgebung, sondern geht grundsätzlich in das Ungemessene.

4.

Daher d u r c h d r i n g e n sich die Kraftfelder.

Faradays Vorstellung vom Wesen des Stoffes ist demnach: stetig, kraftlich

und durchdringlich, anders gesagt: kontinuitätstheoretisch, nicht atomistisch; dy-

namistisch, nicht von der Masse ausgehend, ein Standpunkt, den mittlerweile

die neueste Physik wieder nähergerückt hat; Durchdringlichkeit, nicht Undurch-

dringlichkeit als Grundmerkmal der Materie annehmend.

1

Er vergleicht die Durchdringung zweier Atome dem Verschmelzen zweier

Wellen, welche, wenn sie auch für einen Augenblick zu einer einzigen Masse

vereinigt sind, doch ihre Individualität bewahren und sich später wieder von-

einander trennen. [Anmerkung von Tyndall.]

2

John Tyndall: Faraday und seine Entdeckungen, Eine Gedenkschrift,

deutsch von Hermann Helmholtz, Braunschweig 1870, S. 118. — Vgl. auch

Erwin Lohr: Atomismus und Kontinuitätstheorie in der neuzeitlichen Physik,

Leipzig 1920, S. 26.

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