Table of Contents Table of Contents
Previous Page  6816 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 6816 / 9133 Next Page
Page Background

192

[215/216]

Die Grundtatsache, auf die wir hier stoßen, ist überall klar

und deutlich zu beobachten: In der Natur herrscht ebensowenig

Vollkommenheit wie im Geiste. Die N a t u r e r r e i c h t s i c h

s e l b s t n i c h t . Die sich verräumlichenden Wesenheiten

können sich nicht vollkommen darstellen. Gleichwie der Gedanke

sich selbst nicht erreicht, sondern in Irrtum und Dumpfheit

verfällt; gleichwie das Leben sich selbst nicht erreicht, sondern

in Krankheit ausartet; ebenso ist die Natur ihrer nicht ganz

und gar Meister. Ihre G e s t a l t e n erreichen nicht überall,

was ihnen ihrem reinsten Wesen nach zukäme, nämlich das

Licht (ein Satz, den wir erst später begründen können

1

); ihre

S t o f f e erreichen nicht überall die Gestalt. Der Kristall, wo

er auftritt, kann sich selten in ungestörter Reinheit entfalten. Er

kann aber / auch nicht leicht auftreten. Der Kristall ist zwar die

Wesensform aller Stofflichkeit, aber die größte Menge der Stoffe

bringt es nur zu kristallinischen Formen. Und diese Formen, die

sozusagen nur Halbkristalle sind, kommen wieder meist in

Häufungen oder Vermengungen aller Art zur Entstehung und

werden oft zu Konglomeraten zusammengeballt, schließlich zu

Erden zerrieben (die dann allerdings wieder arteigene Formen

und Eigenschaften annehmen, da die Natur nie ganz gestaltlos

sein kann). Die Stoffe erreichen aber auch ihr W e s e n nicht

immer, wie Erscheinungen nach Art der „Zinnpest“ beweisen.

Die Hinordnung der Stoffe und Dinge zueinander in einem

großartigen Stufenbau, der bis zum Weltganzen hinaufreicht,

wird zwar von den schöpferischen Kräften der Natur vollzogen,

aber sie erreichen hierin keine Vollkommenheit der Gegenseitig-

keit. Die Gegenseitigkeitsverhältnisse der Dingwelt sehen wir

nirgends in vollem Einklange. Überall sehen wir die Erschütte-

rung der Ordnung, überall dauernde oder vorübergehende

Störungen. Katastrophen und Verfinsterungen am Himmel; Erd-

beben, Gewitter, Taifune, riesenhafte Bergstürze, Feueraus-

brüche, Sturmfluten und tausend andere Störungen auf der Erde.

Sogar von den Eigenschaften (Teilinhalten), die wir selbst

unmittelbar am wenigsten verstehen, daher in der Vollkommen-

heit und Unvollkommenheit an sich selbst kaum beurteilen

können, gilt ähnliches. Soferne wir es nämlich als mit im Wesen

1

Siehe unten S. 236 ff.