[62/63]
77
Später heißt es:
1.
„Der Atman, das ist die Brücke (der Damm), welche diese Welt ausein-
anderhält, daß sie nicht verfließe. Diese Brücke überschreiten nicht Tag und
Nacht, nicht der Tod und nicht das Leiden, nicht gutes Werk noch böses Werk
(auch Jesus sagt, daß die Sonne über Gute und Böse / scheine), alle Sünden
kehren vor ihm um, denn sündenlos ist diese Brahmanwelt.
2.
Darum fürwahr, wer diese Brücke überschritten hat als ein Blinder, der
wird sehend, als ein Verwundeter, der wird heil, als ein Kranker, der wird
gesund. Darum fürwahr auch die Nacht, wenn sie über diese Brücke geht, wan-
delt sich in Tag, denn einmal für immer Licht ist diese Brahmanwelt.“
Die Taittiriya-Upanishad:
„1. Der Raum, der da innen im Herzen ist
1
, in dem wohnt jener aus Geist
bestehende, unsterbliche, goldene Puruscha. — Und das, was zwischen den beiden
Gaumenseiten gleichwie eine Zitze herabhängt (das Zäpfchen), das ist der Aus-
gangsort des Indra (das heißt der Seele, wenn sie zu Brahma zieht beim Sterben).
— Und hier, wo sich der Saum des Haares auseinanderlegt (am Scheitel), da
schiebt er die Schädelhälften des Kopfes beiseite (wenn er beim Sterben austritt)
und betritt. . . das Feuer . . . den Wind.
2. . .. die Sonne . . . das Brahman. Da erlangt er (der Geist, die Seele im
Himmel) Autonomie, erlangt er den Geistesherrn; zum Herrn der Rede, Herrn
des Auges, Herrn des Ohres, Herrn der Erkenntnis, zu diesem wird er dann,
zum Brahman, dessen Leib der (unendliche) Raum, dessen Wesen die Realität,
dessen Spielplatz der Lebensodem, dessen Bewußtsein Wonne und dessen Ruhe
vollendet, das Unsterbliche ist“
2
.
Vom attributlosen Brahman sagt die Kena-Upanishad:
„3. Das, bis zu dem kein Aug’ vordringt,
Nicht Rede und Gedanken nicht,
Bleibt unbekannt und nicht seh’n wir, wie einer
es uns lehren mag!
3.
b) Verschieden ists vom Wißbaren,
Und doch darum nicht unbewußt. . .
5. Was durch Denken undenkbar,
Wodurch das Denken wird gedacht,
Das sollst du wissen als Brahman . . ,“
3
.
Das Nichtwissen des Mystikers vom Wesen Gottes lehrt auch:
„10. Zwar weiß ich es nicht ganz, doch auch
Nicht weiß ich, daß ich es nicht weiß!
Wer von uns es weiß, weiß es,
Nicht weiß er, daß er es nicht weiß“
4
.
1
Chândogya-Upanishad, 8, 1, 1, deutsch von Paul Deussen.
2
Taittiriya-Upanishad, 1, 6, 1, deutsch von Paul Deussen, S. 219.
3
Kena-Upanishad, 1, 3 ff., deutsch von Paul Deussen.
4
Kena-Upanishad, 2, 10, deutsch von Paul Deussen, S. 206. Deussen macht
dort dazu die Anmerkung: „Es will dem Schüler nicht in den Kopf, daß das
W i s s e n vom Brahman darin besteht, daß man es n i c h t w e i ß “ .