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In der a l t i n d i s c h e n Religion sind wir auf klassischem Boden
der Mystik. Wir finden überall das Bestreben, durch die uralten
Yogaübungen das Einswerden mit dem Atman (Weltgeist) herbei-
zuführen, — dem höchsten mystischen Erlebnis geht die Einheit
des Weltselbstes, Gottes, und des eigenen Selbstes, Atmans und
Brahmans, auf
1
.
Das Brahman (oder der Atman) wird als „Geist und Wonne“
oder „Sein, Denken und Wonne“ erlebt. Eine berühmte Stelle in
der Brihadâranyaka-Upanischad sagt:
„So wie einer, von einem geliebten Weibe umschlungen, kein Bewußtsein
hat von dem, was außen oder innen ist, so auch hat der Geist, von dem aus
Erkenntnis bestehenden Selbste (Atman) umschlungen, kein Bewußtsein von dem,
was außen oder innen ist. Das ist die Wesensform desselben, in der er gestillten
Verlangens, selbst sein Verlangen, ohne Verlangen ist und von Kummer geschie-
den . .. Dieses ist sein höchstes Ziel, dieses ist sein höchstes Glück, dieses ist seine
höchste Welt, dieses ist seine höchste W o n n e ; durch ein kleines Teilchen nur
dieser Wonne haben ihr Leben die anderen Kreaturen“
2
.
In gleichem Sinn sagt Meister E c k e h a r t : „In der Minne, da sich Gott
minnet, darinnen minnet er alle Kreaturen, nicht als Kreaturen, mehr: als Gott“
3
(in ihrem göttlichen Grund).
Nach der Taittiriya-Upanischad ist der innerste Atman (das
Selbst) des Menschen „der aus Wonne bestehende ..." An ihm ist
Liebe das Haupt, Freude die rechte Seite, Freudigkeit die linke Seite,
Wonne der Rumpf, Brahman das Unterteil, das Fundament“
4
.
In der Chandogya-Upanischad wird die mystische Ekstase als
Lichterscheinung im Herzen geschildert:
„1. Hier in dieser Brahmanstadt (dem Leibe) ist ein Haus, eine kleine Lotos-
blume (das Herz); inwendig darinnen ist ein kleiner Raum; was in dem ist, das
soll man erforschen, das wahrlich soll man suchen zu erkennen. . .
3. Wahrlich, so groß dieser Weltraum ist, so groß ist dieser Raum inwendig
im Herzen; in ihm sind beide, der Himmel und die Erde, beschlossen; beide,
Feuer und Wind, Sonne und Mond, der Blitz und der Stern, und was einer
hinieden besitzt, und was er nicht besitzt, das alles ist darin beschlossen“
5
.
die arische Periode den Begriff von „höheren Arten des Feuers“ (S. 163 ff.) und
läßt „das irdische Element hinter seinem vorausgesetzten himmlischen Urbilde
zurücktreten . . .“ (S. 146). — Das ist unseres Erachtens nur aus innerer mysti-
scher Erfahrung zu begreifen, ebenso, daß AGNI, der Feuergott, in den Pflan-
zen, Wassern, Bäumen, Steinen sei.
1
Beide Ausdrücke, Atman und Brahman, werden übrigens in beiden Bedeu-
tungen, als Weltgeist und menschliches Selbst, gebraucht.
2
Brihadâranyaka-Upanishad, LV, 3, 21, deutsch von Paul Deussen.
3
Franz Pfeiffer: Meister Eckhart, Leipzig 1857, S. 180, Zeile 3.
4
Taittiriya-Upanishad, LI, 5, deutsch von Paul Deussen.
5
Chändogya-Upanishad, 8, 1, 1 und 3, deutsch von Paul Deussen.