248
[227/228]
Lehrreich ist die Äußerung des A u g u s t i n u s über die altrömische Theologie
des V a r r o (116—27 v. Chr.), niedergelegt in dessen 41 Büchern „Altertümer“.
Allerdings schreibt Augustinus vom Standpunkt der Fehde des Christentums
gegen das Heidentum, aber die Wahrhaftigkeit seines Berichtes steht gleichwohl
fest. — Varro unterscheidet, sagt Augustinus, drei Arten von Theologie, die
mystische der Dichter, die physikalische der Philosophen und die staatliche, welche
öffentlich (nach den Gesetzen) geübt wird. Bei der mystischen, sagt Varro, wie
Augustinus anführt, „findet sich viel Erdichtetes, das gegen die Würde und Natur
von Unsterblichen verstößt. Bei diesen Göttern der Dichter kommt es nämlich
vor, daß eine Gottheit aus dem Haupt, eine andere aus dem Schenkel und wieder
eine aus Bluttropfen geboren worden sei, daß Götter gestohlen, Unzucht getrie-
ben, dem Menschen als Sklaven gedient hätten; kurz, es wird da alles auf Götter
übertragen, was einem Menschen . . . begegnen kann“
1
. Augustinus wendet sich
unter anderem auch gegen die „in kleine Stücke zerteilten Aufgaben der Götter“.
Varro sage z. B., daß für die Wöchnerin gleich drei Schutzgötter aufgeboten wer-
den, damit nicht der Gott Silvanus nächtlicherweile eindringe und Unheil an-
richte, und daß zur Versinnbildlichung dieser Beschützer drei Menschen des
Nachts um die Schwellen des Hauses herum gehen und zuerst mit der Axt in die
Schwelle hauen, dann mit dem Mörserstößel darauf schlagen und das dritte Mal
sie mit dem Besen abkehren, damit.. . der Gott Silvanus vom Zutritt abgehalten
werde, weil man das Eisen braucht zum Fällen und Behauen der Bäume und den
Mörserstahl zur Bereitung des Mahles und den Besen zum Häufeln der Früchte;
(darnach) habe man drei Götter benannt, die Intesidona nach dem Einhauen
(intercisio) des Beiles, den Pilumnus nach dem Mörserstößel (pilus) und die De-
verra nach dem Besen, und unter dem Schutz dieser Götter werde die Wöchnerin
vor der Gewalttätigkeit des Gottes Silvanus bewahrt“
2
. — Weiter: „Wenn Mann
und Weib sich verbinden, wird der Gott Jugatinus beigezogen ... (die Braut wird
in das Haus geführt), man zieht auch einen Gott Domiducus bei; damit sie im
Hause sei, zieht man einen Gott Domitius bei; damit sie bei ihrem Mann aus-
harre, fügt man eine Göttin Manturna hinzu“
3
usw. — Varro unterscheide aller-
dings zwischen auserlesenen und niederen Göttern: „Folgende Götter hebt Varro
als auserlesene . . . hervor: Janus, Jupiter, Saturnus, Genius, Mercurius, Apollo,
Mars, Vulcan, Neptunus, Sol, Orcus, den Vater Liber, Tellus, Ceres, Juno, Luna,
Diana, Minerva, Venus und Vesta: im ganzen zwanzig, darunter zwölf männliche
und acht weibliche“
4
. Augustinus tadelt aber diese Einteilung, da vielen niedri-
geren Göttern ein erhabenerer Wirkungskreis zugeteilt sei
5
. Er tritt / auch der
Ansicht Varros als p a n t h e i s t i s c h entgegen, wonach Gott die Seele der Welt
wäre, die Welt jedoch in ihren Teilen viele Seelen habe, deren Natur göttlich sei
6
.
Augustinus hält aber nicht dafür, daß die Götter gar nicht existieren. Gerade
indem sie solchen Unflat erzwangen, sagt Augustinus, „haben sie sich deutlich ge-
nug als unreine Geister erwiesen .. .“
7
. An vielen Stellen bezeichnet er sie als
1
Augustinus: Gottesstaat, deutsch von Alfred Schröder, Kempten 1911, VI, 5.
2
Augustinus: Gottesstaat, .
.. VI, 9.
3
Augustinus: Gottesstaat, .
.. VI, 9.
4
Augustinus: Gottesstaat, .
.. VII, 2.
5
Augustinus: Gottesstaat, .
. . VII, 3 f. und öfter.
6
Augustinus: Gottesstaat, .
. . VII, 6.
7
Augustinus: Gottesstaat,.
. . VI, 10.