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Auch im A l t e n T e s t a m e n t u n d i m C h r i s t e n t u m

fehlt der Gegensatz exoterisch-esoterisch nicht. Exoterisch dünkt

uns das P a r a d i e s des ersten Menschen. Dessen Verweilen in der

Ruhe mystischer Beschauungen war das Paradies der Wonne. Das

Paradies war kein Garten und keine Landschaft, sondern das Leben

des Menschen im verzückten Anblick des göttlichen Lichtes. Exo-

terisch ist auch die biblische Erzählung von Elias, der im f e u r i -

g e n W a g e n gen Himmel fuhr, denn das innere Feuer, welches

den Mystiker durchflammt, bereitet ihn dem höheren Leben zu.

Im Neuen Testament ist unter anderem exoterisch die Fuß -

w a s c h u n g

1

. Die Bibelkritik wollte bekanntlich die Geschichte

von der Fußwaschung für eine Dichtung des „vierten Evangelisten“

erklären (sonst gilt sie als Sinnbild der Demut). Indessen, unwahr

kann unseres Erachtens diese Erzählung gar nicht sein — wer

könnte dergleichen erfinden? — und ein Sinnbild der Demut ist sie

allerdings: Aber die mystische Wahrheit liegt tiefer, sie liegt darin,

daß die Fußwaschung die Stufe der via purgativa, die erlangte Reini-

gung auf dem mystischen Weg bezeichnet, nicht nur der sittlichen

Reinigung, sondern auch schon einer inneren leiblich-geistigen Um-

wandlung. Die Füße berühren die Erde. Alles Untere muß rein,

lauter, gediegen sein, ehe das Obere darauf gebaut wird. Auf das

K r e u z als Verbindung von oben und unten, rechts und links,

stießen wir schon früher.

Im Johannesevangelium finden sich noch manche Einkleidungen

esoterischer Lehren. Offen ausgesprochene Esoterik ist aber die For-

derung innerer W i e d e r g e b u r t im Gespräch Jesu mit Nico-

demus, welches nicht zufällig ein nächtliches ist: „Es sei denn, daß

jemand geboren werde aus Wasser (Leben) und Geist, so kann er

nicht in das Reich Gottes kommen“

2

. — Eine andere, in ihrem tief-

sten Gehalt nur aus der Mystik ver- / ständliche Lehre lautet:

„Suchet nur das R e i c h G o t t e s und alles andere wird euch

hinzugegeben werden“

3

. Das ist nicht nur eine religiöse Maxime,

für den Mystiker ist sie buchstäblich zu verstehen; es ist der Mysti-

ker, dem, nachdem er sich in Gott gefunden, die Welt gehorcht.

1

Johannes, 13, 1 bis 17.

2

Johannes, 3, 5.

3

Lukas 12, 31; Johannes 6, 27.