17
II. Meister Eckehart als Mensch
Von Meister Eckehart als Menschen haben wir keine unvermit-
telten Nachrichten, doch können wir aus seinen Schriften manches
erschließen.
Das oben mitgeteilte Gedicht einer Nonne „Uns kommen Predi-
ger“ zeigt uns zunächst die Aufnahme, die er in diesen Kreisen,
welche eine lebendige Frömmigkeit erfüllte, fand, und die geistige
Luft, die er hier atmete.
Ein etwas anderes Bild zeigen in dieser Hinsicht die lateinischen,
vor Klerikern gehaltenen Predigten. Hier tritt bis zu einem ge-
wissen Grade Zurückhaltung und Strenge der Formulierungen an
die Stelle jenes hinreißenden Tones, welcher in den deutschen Pre-
digten vorherrscht.
Die vollkommene Gelassenheit und Kühle seinen Feinden gegen-
über in der Rechtfertigungsschrift hoben wir schon hervor.
Die andere Seite seines Wesens tritt uns als die Begeisterung eines
feurigen Herzens entgegen, das sich seiner unendlichen Überlegen-
heit und seiner einzigartigen, ihm aufgetragenen Sendung bewußt ist.
Der Schlüssel für alle scheinbaren Gegensätze in Eckehart: die ur-
sprüngliche Bildhaftigkeit seiner Darstellung, neben dem ganz Ab-
strakten, bis auf den Grund Durchdringenden seiner Gedanken; die
Abgeschiedenheit und Weltüberlegenheit seines Geistes neben der
Weltkenntnis und der Sicherheit im Urteil über den Weltlauf; feier-
liche Beschwörung des Hörers, ihm zu folgen, neben dem hoffnungs-
losen Verzicht auf wahres Verständnis; umfassendste Gelehrsamkeit,
die das gesamte damals bekannte Schrifttum der Welt heranzieht,
neben größter Schlichtheit der Rede und rührender Herzenseinfalt;
Liebe für alle Wesen und die gleichzeitige Überhöhung dieser Liebe
durch den Blick auf ihre Wurzeln im Ewigen; angespannteste Kraft
der Tat und tiefste Stille der Versenkung — der Schlüssel für alle
diese und noch manche andere Gegensätze liegt im mystischen Er-
leben. Denn aus diesem entspringen Glut und Begeisterung ebenso
wie Gelassenheit und Weltüberlegenheit, sie läßt ihn überall aus
dem Ganzen und der Einheit seines Wesens sowohl wie seiner Lehre
auftreten, ihn überall die Minne aus dem vollen Brunnen seines
Herzens ergießen.
2