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139

„Alle crêatûre hânt iren louf ûf ir hôheste vollekommenheit.“

1

„Wizzent, alle crêatrûen die jagent unde wirkent nâtûrlich dar umbe, daz si

gote gelîch werden. Der himel lüffe niemer, enjagete oder ensuohte er niht got

oder ein gelîchnisse gotes.“

2

„Alle crêatûren verzîhent sich irs lebens ûf ir wesen.“

3

„Alle crêatûren die smackent irme ûzern menschen als crêatûren, als wîn

unde brôt unde fleisch. Aber mînen inren menschen ensmacket niht als crêatûre,

mer: als gâbe gotes.“

4

Da die Natur von Gottes Leben erfüllt ist, wohnt in ihr auch die

L i e b e . Die Liebe, mit der sich Gott selbst liebt, treibt auch das

Leben der Natur:

„Got minnet sich selben unde sîn nâtûre, sîn wesen unde sîn gotheit. In der

minne, da sich got minnet, dâ inne minnet er alle crêatûren. Mit der minne, dâ

sich got minnet, dâ mite minnet er alle crêatûren, niht als crêatûren, mêr:

creatüren als got.“

5

Und nun eine besonders wichtige Stelle:

„Alle crêatûren suochent etwaz gote gelîch; sô sie ie snoeder sint, sô sie ie

üzwendiger suochent.“

6

Demnach, je mehr Innerlichkeit, umso näher an Gott sind die

Kreaturen, je mehr Äußerlichkeit, umso ferner von Gott.

Der Gedanke, daß Gott allen Kreaturen gleich nahe sei und

darum alle zu ihm zurückstreben, hat weitere Folgen: die Natur er-

hält damit eine verborgene G e m e i n s c h a f t m i t G o t t ; und

diese gibt ihr wieder einen A b g l a n z g ö t t l i c h e n L e b e n s .

Die Natur wird so in ein höheres Licht getaucht. Nichtig ist die

Natur nur an sich selbst betrachtet (in der bloßen Verliehenheit

ihres Seins „si enweiz es niht“), in Gemeinschaft mit Gott aber und

1

Pf. 180, 12: Alle Kreaturen richten ihren Lauf auf die höchste Vollkommen-

heit.

2

Pf. 143, 19: Wisset, alle Kreaturen jagen und wirken von Natur aus zu

dem Ende, Gott gleich zu werden. Der Himmel liefe nimmer um, jagte oder

suchte er nicht nach Gott oder einem Gleichnisse Gottes.

3

Pf. 180, 22: Alle Kreaturen entäußern sich ihres Lebens um ihres Seins

willen.

4

Pf. 180, 30: Alle Kreaturen schmecken als Kreaturen (nur) dem äußeren

Menschen, wie Wein, Brot und Fleisch. Meinem inneren Menschen aber schmeckt

nichts als Kreatur, sondern als Gabe Gottes.

5

Pf. 180, 2: Gott liebt sich selbst und seine Natur, sein Sein und seine Gott-

heit. In der Liebe aber, in der Gott sich (selbst) liebt, darin liebt er (auch) alle

Kreaturen, jedoch nicht als Kreaturen, sondern die Kreaturen als Gott.

6

Pf. 255, 25: Alle Kreaturen suchen etwas, was Gott gleicht; je geringwerti-

ger sie sind, um so äußerlicher suchen sie.