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1 4 1

C.

Das V e r h ä l t n i s d e s M e n s c h e n z u r N a t u r

Die Grundzüge seiner Naturauffassung teilt Eckehart mit der ge-

samten mystischen Philosophie der Welt. Worin er diese aber unter

einem übertrifft, ist nicht nur die große Lehre vom Ursprunge der

Natureigenschaften aus ihrem Zurückstreben zu Gott. Eckehart

schließt daran noch einen anderen Gedanken, der ihm ganz allein

angehört: daß das Verhältnis des Menschen zur Natur zuletzt aus-

schließlich in der gleichen Gottdurchdrungenheit der Natur wie der

Seele begründet sei! Es ist ein Gedanke von beispielloser Kühnheit,

den Eckehart aus der Erkenntnis: „Gott ist dem Stein ebenso nahe

wie dem Menschen, aber der Stein weiß es nicht“, folgert.

„Enwêre got niht in allen dingen, diu nâtûre enwürhte noch enbegerte nihtes

an dekeime dinge; wan ez sî dir liep oder leit, dû wizzest ez oder du wizzest ez

niht (doch heimlich): diu nâtûre in dem innigosten diu suochet unde meinet got.

Nie d e k e i n e n m e n s c h e n g e t u r s t e s o s ê r e , . . . , e r b e g e r t e

s i n n i h t u n d e n w ê r e e t w a z g o t e s d a r i n n e n i h t.“

1

— eines der erschütterndsten Worte des hohen Meisters.

Eckehart erklärt uns damit, daß die Natur dem Menschen nicht

in einer bloß äußerlichen Weise zugeordnet sei! Nicht als äußerlicher

Standort, nicht als äußerliches Mittel, nicht als toter Stoff steht die

Natur in einem Gemeinschaftsverhältnisse mit uns; was uns mit ihr

verbindet, was uns eine Gemeinschaft mit ihr erst ermöglicht, ist

allein jenes Gemeinsame, das der Geist mit ihr wirklich hat: das

Durchdrungensein von Gott. Aus diesem Durchdrungensein folgt

beim Menschen wie bei der Kreatur das Drängen zu Gott. So ist es

zu verstehen, wenn Eckehart fortfährt:

„Diu nâtûre enmeinet weder ezzen noch trinken noch kleider noch gemach,

nihtes an allen dingen und wêre gotes dar inne niht, unde suochet heimlich unde

gejaget unde gnaget iemer mêr nach dem, daz si gotes dar inne vindet.“

2

1

Pf. 143, 22: Wäre Gott nicht in allen Dingen, die Natur wirkte weder noch

begehrte sie etwas in irgend einem Dinge; denn, sei’s dir lieb oder leid, du wis-

sest es oder wissest es nicht, heimlich im Innersten sucht und strebt die Natur

nach Gott. Nie kann es einen Menschen so sehr dürsten, daß er .. . (zu trinken)

begehrte, wenn nichts von Gott darinnen wäre.

2

Pf. 143, 27: Die Natur (des Menschen) würde weder nach Essen noch nach

Trinken, nach Kleidern noch nach Bequemlichkeit noch nach irgend etwas in den

Dingen verlangen, wenn nichts von Gott darin wäre; und sie sucht heimlich und

jagt und nagt immerzu danach, Gott darin zu finden.