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auf die Gottdurchdrungenheit kommt es in diesem Zusammenhange
an:
„. . . in Gott sind aller Dinge Bilder [Urbilder, Ideen] gleich, aber sie sind
ungleicher Dinge Bilder.“
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Diesen auch bei Bonaventura zu findenden Gedanken führt Ecke-
hart am Beispiele des Lichtes an:
„Als man erkennen mag an dem Lichte, das da wirket nach der Edelkeit der
Materie, darauf es fällt. An dem Holze wirket es sein selbes Werk, das ist Hitze
und Feuer; an Bäumen und an feuchten Dingen wirket es Wachsen, nicht sein
selbes Werk, das Hitze ist, sondern daß sie geräumig werden („gerumen“) und
Frucht bringen; an lebendigen Kreaturen wirket es Leben . .., also daß das Schaf
das Gras (auf welches Licht schien) ißt und davon wird ein Ohr oder ein Auge;
an den Menschen (in der Seele) wirkt es (das göttliche Licht der) Seligkeit, das
kommt von der Gnade Gottes, die erhebet die Seele auf zu Gott und vereiniget
sie mit ihm und machet sie gotfar [gottförmig].“
2
Der Sinn dieser Darlegungen ist, daß nicht nur im allgemeinen
das gemeinsame Gründen von Mensch und Kreatur in Gott ihre
Gemeinschaft ermögliche, sondern daß auch ihre einzelne Bestimmt-
heit durch den Inhalt der göttlichen Ideenwelt vorgezeichnet sei.
D.
Der S i n n u n d d i e W e l t s t e l l u n g
Lenken wir wieder in das Grundsätzliche zurück, so finden wir
den Meister von hier aus über den Sinn der Natur in der Schöpfung
Aufschluß suchen.
Er sagt, Gottes Trost sei allen Kreaturen so s ü ß , daß alle ihn
suchen und ihm nachjagen.
„Nû möhtent ir sprechen: wâ ist dirre got, dem alle crêatûren nach jagent,
da von sie ir wesen und ir leben habent? (Ich spriche gerne von der gotheit,
wan alle unser sêlikeit dannân ûze vliuzet.) . ..
Wâ ist dirre got? In der vollidi der heiligen da bin ich bevangen.
Wâ ist dirre got? In dem vater.
Wâ ist dirre got? In der êwikeit. Got möhte niemer nieman funden hân,
als der wîse sprichet ,herre, du bist ein verborgen got!‘
Wâ ist dirre got? Reht als sich ein mensche verbirget, so rünstert er sich
unde vermeldet sich selber dâ mite, also hat ouch got getân. Got künde niemer
nieman funden hân; nû hêt er sich vermeldet. Ein heilig sprichet ,ich enpfinde
etwenne sölicher süezekeit in mir, daz ich mîn selbes und aller crêatûre vergizze
1
Philipp Strauch: Paradisus anime intelligentis, in: Deutsche Texte des Mittel-
alters, Bd XXX, Berlin 1919, S. 73, 20.
2
Philipp Strauch: Paradisus anime intelligentis, in: Deutsche Texte des Mit-
telalters, Bd XXX, Berlin 1919, S. 109, 31.