145
zeiträumlich geschaffen), um als ein (irdisches) Licht zu offenbaren das verborgene
Licht... So wie alle Dinge als ein Licht gewiesen sind auszufließen, also sind sie
auch alle ein Licht, wieder hineinzukommen .. .“
1
III. Naturphilosophie und Sittenlehre
Mit Staunen bemerkten wir beim tieferen Eindringen in Eckehart
die großartige E i n h e i t seiner Naturphilosophie mit seiner Sit-
tenlehre. Erst aus der Naturphilosophie ist die Sittenphilosophie
ganz zu verstehen.
Die Naturphilosophie Eckeharts ist kein abgesondertes Lehrstück,
sondern ein Glied in dem wunderbar einheitlichen Begriffsbau seiner
Weisheit. Darum ist es nicht verwunderlich, wenn wir behaupten,
von der Naturlehre her verstehe man erst recht die Sittenlehre!
Wenn man bisher den Widerspruch, der sich zwischen Eckeharts Ge-
bot der Tätigkeit und seiner Lehre von der Abgeschiedenheit auf-
zutun schien, nicht aufzulösen vermochte, so löst er sich dagegen
leicht, wenn man von der Naturphilosophie ausgeht. Wie ein roter
Faden zieht sich durch das ganze Denken Eckeharts hindurch der
Grundsatz, daß die wesensgemäße T ä t i g k e i t a l l e r G e -
s c h ö p f e zugleich i h r e R ü c k k e h r z u G o t t i n s i c h
s c h l i e ß e , indem sie dabei ihre Eigenschaften erst entfalten, ihre
Wirklichkeit erst gewinnen!
Wie der Stein fällt, das Feuer in die Höhe strebt, der Himmel
läuft, um wieder zu Gott zu gelangen, ebenso kann auch der Mensch
nur durch Tätigkeit, durch Entfaltung der ihm wesensgemäßen
Eigenschaften und Wirklichkeit Gotte näher kommen, zuletzt die
Gottesgeburt in der Seele erlangen! In der Predigt über Maria und
Martha spricht Eckehart diesen allgemeinen G r u n d s a t z d e s
N a t u r l e b e n s a u c h a l s d e n G r u n d s a t z d e r S i t -
t e n l e h r e a u s :
„.. . dar umbe sîn wir gesetzet in die zît, daz wir von zîtlîchem vernünftigem
gewerbe gote nêher unde gelîcher werden.“
2
1
Philipp Strauch: Paradisus anime intelligentis, in: Deutsche Texte des Mit-
telalters, Bd XXX, Berlin 1919, S. 127, 30.
2
Pf. 49, 29: Dazu sind wir in die Zeit gestellt, daß wir durch zeitgemäßes
und vernunfterhelltes „Gewerbe“ (Handeln) Gott näher kommen und ihm
ähnlicher werden.