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wird sich das später noch klarer zeigen. Wir betrachten nun einzeln
die Erkenntnisstufen.
III.
Die erste Stufe: Das mystische Erkennen
Immer wieder betont Eckehart, und dazu bestimmt ihn die
mystische Erfahrung, daß das Innebleibende der Seele, das Fünk-
lein, mit Gott ein Werk wirke; daß es ein Mitleben mit Gott habe
und in d i e s e m i n n e b l e i b e n d e n M i t l e b e n z u -
g l e i c h G o t t e r k e n n e . Zu verstehen ist das nur, wenn man
die Hinweise auf das Erlebte dieser Lehren ernst nimmt. Sie sind
aber nicht nur erlebt, sondern auch folgerichtig. Die Lehre vom
mystischen Erkennen folgt sowohl aus dem bekannten Eckeharti-
schen Begriffe des „Fünkleins“ oder Seelengrundes (den wir hier
allerdings nicht näher erklären können) wie auch aus dem Begriffe
des Innebleibens, den Eckehart in der gewaltigen 56. Predigt be-
rührt.
In ihr heißt es auf die Frage:
„.. . bruoder Eckehart, wenne giengent ir ûzerme hûse? Do was ich dâ inne.“
1
und:
„Dâ vermiste mîn nieman.“
2
Die Erklärung dieser urtümlichen, aus heimlichster Erfahrung
kommenden Worte liegt darin, daß das Fünklein der Seele sich in
Wahrheit auch während des weltlichen Daseins der Menschen von
Gott nie trennte, stets in seiner göttlichen Befaßtheit i n n e -
b l i e b . Das, was Eckehart die „Gottesgeburt in der Seele“ nennt,
ist nichts anderes als eine B e w u ß t w e r d u n g dieser unauf-
löslichen Verbundenheit und Einheit der Menschen mit Gott.
Auch der oben angeführte Begriff des „Beiwortes“ macht dies
klar. Die Seele ist ein Beiwort des göttlichen Wortes (des Logos, des
Sohnes). Dieses „Beiwort“ bleibt (durch das Fünklein) auch während
der Erdenlaufbahn der Seele mit Gott vereint, es nimmt als Inne-
bleibendes am göttlichen Leben teil! Das Innebleibende ist also
1
Pf. 181, 6: Bruder Eckehart, wann gingt ihr aus dem Hause? — Da (wäh-
rend ich gefragt wurde) war ich drinnen.
2
Pf. 181, 18: Es vermißte mich da niemand (während ich aus Gott trat und
in der Welt war).