Table of Contents Table of Contents
Previous Page  7939 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 7939 / 9133 Next Page
Page Background

187

„Die Wiederkehr zu Gott geschieht in dem Menschen, in dem gesammelt wird

alle Mannigfaltigkeit und alle leiblichen Dinge hinaufgetragen werden in ihren

ersten Ursprung . . .“

1

Demnach, im Eilen und Jagen nach Gott muß auch die Seele

ihrem Wesen nach die Welt durchmessen, um sich zu ihm zu be-

reiten!

Wieder bewundern wir die großartige Einheit der Philosophie

Meister Eckeharts, die in allen seinen Lehrbegriffen klar zutage

tritt, in den naturphilosophischen, sittlichen und seelischen!

Die oberste Kraft der Seele, das Fünklein, ist, wie wir mit

F i c h t e s Lehrbegriffen es heute nennen müssen: S e l b s t -

s e t z u n g u n d S e 1 b s t e n t g e g e n s e t z u n g :

„Diese Seele gebiert sich selber in sich selber .. .“

2

Aber in ihren darunter stehenden Kräften, dem G e d ä c h t -

n i s s e , V e r s t a n d e u n d W i l l e n — das sind die drei hö-

heren Seelenkräfte Augustins — da hat sie Mannigfaltigkeit. Den

Vorrang hat, wie sich später zeigen wird, der Verstand, das Er-

kennen, die Vernunft:

„Sie (die Seele) ist so kräftig (in der Vernunft), sie s c h e i d e t , was eins ist.

Feuer und Hitze ist eins: fällt es in Vernünftigkeit, sie scheidet es.“

3

Ebenso:

„Das Erkennen scheidet das in der Natur Verbundene.“

4

In dieser „Scheidung“ liegt zugleich das Sichzurückbeziehen der

Seele, die Selbst e n t g e g e n s e t z u n g , das, wodurch sie, wieder

nach Fichte gesagt, Subjekt-Objekt wird. Vernunft hat aber, so

dürfen wir es ausdrücken, eine höhere und eine niedere Seite. Die

höhere geht nach Eckehart in das Fünklein, in Gotteserkenntnis

über. Damit ist auch die Frage nach dem V o r r a n g von Erkennt-

nis oder Willen, der in jener Zeit die große Streitfrage zwischen der

thomistischen und franziskanischen Scholastik bildete, schon grund-

sätzlich entschieden:

1

Philipp Strauch: Paradisus anime intelligentis, in: Deutsche Texte des Mit-

telalters, Bd XXX, Berlin 1919, S. 38, 15.

2

Philipp Strauch: Paradisus anime intelligentis, in: Deutsche Texte des Mit-

telalters, Bd XXX, Berlin 1919, S. 54, 24.

3

Philipp Strauch: Paradisus anime intelligentis, in: Deutsche Texte des Mit-

telalters, Bd XXX, Berlin 1919, S. 54, 27.

4

Meister Eckhart: Die Lateinischen Werke, Fünfter Band, Teil II, heraus-

gegeben von Bernhard Geyer, Stuttgart 1937, S. 44.