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„Vernünftekeit diu vellet in daz lûter wesen (Gottes).“

1

„Wâ von bekennet man hie wêrlîche? Daz ist dâ von, want ez ein götlich

lieht ist, daz nieman triuget.“

2

Ein sehr wichtiger Satz Eckeharts! Denn h i e r m i t i s t j e d e

A r t v o n S o l i p s i s m u s u n d M a y a l e h r e (= die Welt

sei nur Schein) a u s g e s c h l o s s e n . Erkenntnis dringt denn

auch bis zu Gott selber vor!

„.. . bekantnisse treit den slüzzel unde sliuzet ûf unde brichet durch unde

vindet got blôz unde saget denne irre gespilen, dem willen, waz si besezzen

habe, swie si doch den willen ê gehabet habe; want swaz ich wil, daz suoche ich.“

3

Der Vorrang der Erkenntnis vor dem Willen, welcher hier aus-

gesprochen wird, erfährt mit den letzten Worten zwar eine Ein-

schränkung, aber sie kann den grundsätzlichen Vorrang des Erken-

nens nicht berühren. Denn unmittelbar darnach stellt Eckehart

diesen Vorrang ausdrücklich fest:

„Bekantnisse gêt vor. Si ist ein fürstinne und suochet hêrschaft in dem

hoehsten und in dem lutersten unde teilet ez vort der sêle, unde diu sêle vort

der nâtâre unde diu nâtûre allen lîplîchen sinnen.“

4

Wenn die Eckehartsauslegung bisher schwankte, ob sie den Thomi-

stischen Vorrang des Erkennens vor dem Willen bei Eckehart finde

oder nicht, so scheint uns davon allerdings so viel berechtigt, daß

Eckehart diesen Vorrang nicht eigentlich auf die innere Gliederung

der Seelen k r ä f t e stützt, wie dies Thomas auf der einen Seite,

der Nominalismus auf der andern (dieser für den Willen) tut; viel-

mehr gründet er den Vorrang des Erkennens vor dem Willen auf

die m y s t i s c h e Einigung. Denn diese sieht er als ein Aufnehmen,

also als eine Art der Erkenntnis an. So verstanden, ist auch die fol-

gende Äußerung Eckeharts in einer lateinischen Predigt völlig ein-

deutig:

Eckehart unterscheidet hier „. . . die Hülle des Guten, unter welcher der Wille

(Gott) begreift, (und) die Hülle des Wahren, mit welcher der Intellekt Gott be-

1

Pf. 97, 27: Vernunft dringt in das lautere Sein (Gottes).

2

Pf. 98, 4: Warum erkennt man hier wahrhaft? Darum, weil es ein gött-

liches Licht ist (was man erkennt), das niemand trügt.

3

Pf. 98, 28: Erkenntnis hat den Schlüssel und schließt auf und dringt und

bricht durch und findet Gott unverhüllt und sagt sodann ihrem Gespielen, dem

Willen, was sie in Besitz genommen habe, wiewohl sie doch den Willen (dazu)

schon vorher gehabt hat; denn was ich will, das suche ich.

4

Pf. 98, 31: Erkenntnis geht voran. Sie ist eine Fürstin und sucht Herrschaft

im Höchsten und Reinsten und gibt es an die Seele weiter und die Seele weiter

an die Natur (wohl: des ganzen Leibes) und die Natur an alle leiblichen Sinne.