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Vorwort zur Erstfassung

Jedes Geschlecht muß die großen Leidenserfahrungen der Ge-

schichte, Kriege, Erschütterungen, geistige und religiöse Verirrun-

gen aufs neue durchkosten. Es nützt ihm wenig, daß seine Groß-

väter, Ur- und Ur-Urgroßväter sie machten und im Buche der

Geschichte verzeichneten.

Daran ist das Natur- und Triebhafte des Menschen schuld. Es ist

so stark, daß es erst durch schmerzhaftes Anrennen an dem Felsen

des Leides, durch Scheitern an starren Klippen erschüttert,

geschwächt und von der höheren Vernunft, die der Mensch besitzt,

erleuchtet werden kann.

Erst am Ende solcher Zeiten übergroßer Leiden kommt eine

Welle der E r w e c k u n g über die Menschen. Aber dann ist oft

das äußere Elend, die Zerstörung aller äußeren Hilfsmittel der Gesit-

tung so groß, daß von neuer Seite Hindernisse entstehen und sich

die neugewonnenen Kräfte abermals nicht leicht durchsetzen und

fruchtbar machen können. Nach dem Peloponnesischen Kriege in

Griechenland, nach dem Dreißigjährigen Kriege in Deutschland,

nach der Schreckenszeit der Französischen Revolution und später

der Napoleonischen Kriege wäre sicherlich eine große innere Bereit-

schaft, die zu hohem kulturellen Aufschwunge befähigte, dagewe-

sen! Sie konnte aber nicht voll ausgenützt werden.

Hohe Kunst ist H e i l d e r W e l t so gut wie Glaube, Philo-

sophie und Wissenschaft.

Sie führt das Übersinnliche herauf, sie zeugt von einem Schöpfe-

rischen im Menschen, im Leben, in der Geschichte, in der Natur!

Die Gotik war das Heil ihrer Zeit so gut wie die Mystik Ecke-

harts von damals.

Der Verfall der Kunst in unseren Zeiten ist ein noch bedenk-

licheres Zeichen als der Verfall der Philosophie, als der Materialis-

mus der Wissenschaft.

Denn eine Zeit ohne Kunst hat keinen Glauben mehr an sich