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Durch bloßes Denken, durch Lehre kann oft eine innere Regung,

welche diese Gewißheit in sich trägt, aufzücken, aber ist eine solch

kostbare Blume der Erkenntnis im Menschen aufgeblüht, so bleibt

noch immer die große Aufgabe, sie in sich zu bewahren, sie nicht

welken zu lassen.

An dem Bewußtsein innerer Gewißheit übersinnlichen Seins und

Lebens kräftig mitzuwirken, ist neben Philosophie und Religion

nichts mehr berufen, mitzuwirken, als die h o h e K u n s t !

Die hohe Kunst aller Zeiten und Kulturen ist dazu bestimmt,

ein Unendliches im Innersten des Menschen zu offenbaren. Ich sage:

im Innersten des Menschen, denn täte sie es nur in der Natur, so

könnte der Mensch immer noch leer ausgehen!

Der Mensch muß in sich selbst einen ewigen Grund, einen gött-

lichen Funken verspüren und dessen sicher sein, um die Zufälle

und Vergänglichkeiten des Lebens zu ertragen. Dann steht die

innere F r e i h e i t über dem Zufall der Notwendigkeit, die Unver-

gänglichkeit des Kernes über der Vergänglichkeit der Schale, und

eine verborgene E i n h e i t zieht sich dann durch die unstete

und verkehrte Vielheit der Zufälle und Ungestaltungen des eigenen

Geschickes, das ja nicht nur aus sich selbst, sondern aus dem gemein-

samen Leben mit anderen seine Nahrung zieht!

Um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts begann ein idealer

Zug des Lebens eine neue Kunstblüte hervorzutreiben. Die deutsche

Klassik und Romantik entstand. Gluck, Haydn, Mozart, Beetho-

ven, Schubert traten auf. Und derselbe neue Zug trieb auch eine

neue Blüte der Kunstphilosophie hervor. Von Winckelmann und

Lessing bis zu Schelling, Hegel und der noch fast bis an das Ende

des neunzehnten Jahrhunderts reichenden Hegelschule der Ästhetik

dauerte diese Blüte. Es entstanden nach Kants „Kritik der Urteils-

kraft“ Schellings „Vorlesungen über Philosophie der Kunst“, Hegels

„Ästhetik“, darnach Weißes und Lotzes Werke, zuletzt noch die

bedeutenden Werke der Hegelschüler Friedrich Theodor Vischer

und Max Schasler, dessen „Kritische Geschichte der Ästhetik“ (1872)

den Abschluß dieser gewaltigen, in der Geistesgeschichte Europas

einzig dastehenden Entwicklung bildet. Dann brach die Nacht her-

ein.

Nichts kann deutlicher als diese großartige Entwicklung die