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Erkenntnis veranschaulichen, daß es in der Geistesgeschichte nicht

allein auf die Findung der Wahrheit ankomme! Es muß a u c h

M e n s c h e n g e b e n , w e l c h e s i e n a c h z u d e n k e n u n d

i n s i c h z u e r z e u g e n f ä h i g s i n d !

Von der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts an ging diese Fähig-

keit zurück. Die neuen Geschlechter wurden von den Aufgaben

der neu heraufgekommenen materialistisch-technischen Kultur ver-

schlungen, der äußere, nämlich physikalisch-chemische und mengen-

haft-mathematische Anblick der Dinge nahm sie gefangen, die

gesamte geistige Kultur ging zurück.

Heute muß Prometheus das himmlische Feuer aufs neue den

Göttern rauben! Denn die hohe philosophische Bildung des deut-

schen Volkes, die Voraussetzung jedes hohen Aufschwunges, ging

verloren. Nichts aber sank so tief wie die künstlerische Kultur! Von

einem wahllosen geschichtlichen Sammelsurium der Kunststile zu

Beginn dieser Entwicklung ging es immer tiefer und tiefer hin-

unter durch fleißigen Naturalismus hindurch bis zum Gipfel des

Primitivismus, zur Kunst der Geisteskranken!

K r a n k h a f t i g k e i t ist das eigentliche Merkzeichen der

Kunst der letzten fünfzig Jahre!

Aber wie könnte sich das jemals ändern? Man wird geltend ma-

chen, daß die technische Entwicklung fortdauert, die anorganischen

Naturwissenschaften weiter fortschreiten, daher die Einstellung der

Menschen dieselbe technisch-materialistisch-mathematische bleiben

werde.

Glücklicherweise darf man die Lage der Dinge rosiger sehen!

Praktische Aufgaben hatte der Mensch immer zu lösen. Der

Bauer mußte seinen Acker, der Handwerker seine Werkstätte, der

Fabriks- und Handelsherr seine Angelegenheiten immer besorgen!

Aber der G e i s t , i n w e l c h e m s i e a n i h r e A u f g a -

b e n h e r a n g i n g e n , war verschieden!

Nichts hindert, daß dieser Geist wieder den hohen Idealen zuge-

wendet, die alten Wahrheiten ergriffen, die alte Schönheit ins

Herz geschlossen werden!

Möge der Genius der Geschichte uns günstig sein, auf dessen

Geheimnisse schon Goethe deutete, als er sagte:

„Gar vieles kann lange erfunden, entdeckt sein, und es wirkt