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selbst. Geht aber der Glaube an sich selbst verloren, woher sollen
dann die Kräfte kommen, sich in höchster Bedrängnis zu behaup-
ten?
Echte Kunst ist Zeugnis des Übersinnlichen — ohne Schulmei-
nung, ohne Lehrbegriff, aber aus innerer Gewißheit, unmittel-
barem Erleben und Haben!
Bei dem gesunkenen Stande unserer philosophischen Bildung hat
sich dieses Buch vor allem des Einwandes zu versehen, daß die
Kunst keiner Philosophie, keiner Ästhetik bedürfe. Ein solcher Ein-
wand zeugt freilich von Primitivität sowie der völligen Unbekannt-
schaft mit dem geschichtlichen Gange des Geisteslebens. Darauf ein-
zugehen, ist freilich nicht die Aufgabe eines Vorwortes. Es möge
genügen, G o e t h e s Mahnung in Erinnerung zu bringen: „Wer
gegenwärtig über Kunst schreiben oder gar streiten will, der sollte
einige Ahnung haben von dem, was die Philosophie in unseren
Tagen geleistet hat und zu leisten fortfährt“
1
.
Was Schelling in Vorlesungen um die Mitte des vorigen Jahr-
hunderts sagte, gilt auch heute noch, gilt, da der Verfall noch weiter
fortgeschritten:
„So tief hat die Philosophie in alle Verhältnisse der Zeit und
Literatur eingegriffen, namentlich hat sie zur Poesie einen so tiefen
und innerlichen Bezug gewonnen, daß fortan oder doch zunächst
beider Schicksal nur ein gemeinschaftliches sein kann und daß, wie
früher Poesie der Philosophie vorausging und zu dieser namentlich
in Goethe ein wahrhaft prophetisches Verhältnis hatte, so jetzt die
wiederauflebende Philosophie ein neues Zeitalter der Poesie herbei-
zuführen bestimmt ist, schon indem sie der Poesie, wenigstens als
notwendige Grundlage, die großen Gegenstände zurückgibt, an
welche unsere Zeit den Glauben verloren, weil ihr früher schon
alles Verständnis derselben verlorengegangen war“
2
.
Um die Gedanken dieses Buches zugänglicher zu machen, bemühte
ich mich, zum Unterschiede von anderen Ästhetiken, überall Bei-
spiele heranzuziehen und neben den Kunstwerken auch die Künst-
ler selbst sprechen zu lassen. Es galt aber, bei dem heute so unein-
heitlichen Kunsturteile nicht anzustoßen und nicht schon dort, wo
1
Goethe: Sprüche in Prosa, Ausg. Loeper Nr. 704.
2
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Sämtliche Werke, Bd 3, Stuttgart
1856-1861.