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In den Naturwissenschaften ist ein Rückblick auf die Geschichte

der Wissenschaft meistens entbehrlich. Zu wissen, wie ein physika-

lischer Versuch vor hundert Jahren aussah, ist in den meisten Fällen

für den Forscher nur von geringem Werte, da er heute ungleich

feinere Versuchsgeräte und ungleich mehr Kenntnisse jener Natur-

vorgänge, die zu untersuchen sind, zur Verfügung hat.

Anders in den Geisteswissenschaften und in der Philosophie. Hier

ist die Kenntnis der Hauptleistungen, von denen die Lehrgeschichte

zu berichten hat, überall unentbehrlich. Denn erst aus den früheren

Bemühungen ausgezeichneter Denker ersieht man, welche Lösungs-

versuche der bestehenden Fragen und Denkaufgaben überhaupt

gemacht wurden, welche sich als falsch, welche als richtig oder doch

als weiterverfolgbar erwiesen und welche nicht; vor allem aber,

welche ungeheure geistige Arbeit großer Denker in den jeweils

schon vorhandenen Erkenntnissen und Lehrbegriffen liegt. Schon

seit Jahrhunderten kann der Geograph Amerika nicht neu ent-

decken; in der Geistesgeschichte wäre derartiges immer eine Gefahr

für den in ihr nicht Bewanderten.

Endlich, in den Geisteswissenschaften und vor allem in der Philo-

sophie liegt das Hauptgewicht in der inneren geistigen Arbeit,

welche auch dann nicht leichter wird, wenn sich der Erfahrungsstoff

mittlerweile erweiterte.

Da jedoch Lehrgeschichte durchaus nicht unser Zweck ist, be-

schränken wir uns im folgenden auf das Allernotwendigste, um zu

jenen Fragestellungen und Denkaufgaben, die heute an der Zeit

sind, hinzuführen.

Wie in allen Zweigen der Philosophie sehen wir auch in der

Kunstphilosophie oder Ästhetik zwei Grundrichtungen hervortre-

ten, die idealistische, zugleich metaphysische, und die empiristisch-

positivistische, die man auch psychologistisch oder biologistisch, je

nach ihrem Sondergebiete, nennen kann.

Wir beginnen mit der ersteren.