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liche Überwachung aller Kunst
1
. „Homer in Ehren, aber mehr als
die Menschen gilt die Wahrheit“
2
. Und als ein Gebet der Spartaner
führt Platon an: „Das Schöne (gib uns) nach dem Guten“ (
καλά επί τοϊς
άγαϋοΐς),
das heißt, das Schöne soll auf dem Grunde des
Guten ruhen
3
. Doch kehrt er anderwärts dieses Verhältnis um,
wenn er sagt: „Das Schöne ist gleichsam der Vater des Guten“
4
. In
den Gesprächen „Protagoras“ und „Menon“ lehrt Platon geradewegs
die Einheit des Schönen und Guten, dem großen griechischen Erzie-
hungsideale des „ S c h ö n g u t e n“, der
καλοκαγαϋία
gemäß
5
.
Unsere Auffassung der Platonischen Lehre vom Schönen fände besonders im
Gespräche „Ion“ eine Stütze. Da aber die Echtheit des „Ion“ angezweifelt wird,
bezogen wir uns im vorstehenden nicht auf ihn. Im „Ion“ sagt Platon, daß die
Muse den Dichter mit „göttlicher Begeisterung“ erfülle, daß der Dichter seine
Werke im Zustande der „Begeisterung und Verzückung“ schaffe und daß er
„nicht aus überlegendem Kunstverstande“, sondern „nur aus göttlicher Schickung“
imstande sei, „wirklich schön“ zu dichten
6
.
Da wir diese Lehre im Alterswerke Platons, den „Gesetzen“ wiederfinden,
so müssen mindestens die genannten Stellen echt sein (übrigens treten für die
Echtheit des „Ion“ Wilhelm Windelband, Otto Apelt, Anton Mayer und andere
ein). Dort heißt es: „Es ist eine alte Sage
(
μυφος
),
daß ein Dichter, wenn er auf
dem Dreifuße der Muse sitzt, dann nicht bei Sinnen sei, sondern gleichsam wie
ein Quell das, was herausströmt, bereitwillig strömen lasse“
7
. - Bemerkenswert
ist, daß Platon gleich darauf die dieser Eingebungslehre eigentlich widerspre-
chende, auf die Äußerlichkeit der Kunst hinführende Nachahmungslehre folgen
läßt.
Ähnlich wie Platon faßt die Denkaufgabe des Schönen
Aristoteles
(384—322 v. Chr.) auf, dessen „Poetik“ uns leider nicht vollständig
erhalten ist. Auch ihm ist die Kunst Nachahmung, und das Schöne
nimmt er hauptsächlich von der auch schon von Platon hervor-
gehobenen Seite der gesetzmäßigen Abmessungen und Verhältnisse
im Raume, welche eine bestimmte Ordnung in einem anschaulichen
Ganzen ergeben. Auch hebt Aristoteles mehr als Platon hervor, daß
die Kunst auf das Allgemeine gehe, indem das Einzelne als Stell-
vertreter einer Gattung erscheine
8
. Der von Aristoteles entwickelte
1
Platon: Gesetze,
656t
ff., 801b und 935e ff.
2
Platon: Staat, 595e.
3
In dem Platon zugeschriebenen Gespräche „Zweiter Alkibiades“, 148c.
4
Platon: Größerer Hippias, 297b f.; Lysis 216 f.; Menexenos, 246e.; Gesetze,
966a ff.
5
Platon: Protagoras, 358b; Menon, 77b f.
6
Platon: Ion, 533e f., 534b f. und 536.
7
Platon: Gesetze 719c.
8
Aristoteles: Poetik, I, 9.