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v o m N ü t z l i c h e n (an dem man ja „interessiert“ ist) und
damit auch vom Sinnlich-Angenehmen los; wie überhaupt von
allem, was den S i n n e n lustvoll ist. Auch von der Vorstellung,
dem Begriffe, dem Wissen ist nach Kant das Schöne grundsätzlich
verschieden; und ebenso ist es der Willkür entzogen, das Urteil
darüber, das „Geschmacksurteil“ (über das Schöne) ist allgemein
und notwendig gültig, das heißt apriorisch. Damit ist aller Empi-
rismus und, wie man heute sagt, Psychologismus aus dem Felde
geschlagen.
Nicht zum Schönen selbst, aber doch zum Ästhetischen im weite-
ren Sinne gehört nach Kant das E r h a b e n e . Erhaben ist ihm
das dem Menschen schlechthin Überlegene, das, was schlechthin über
allem Vergleiche steht, z. B. der gestirnte Himmel. Das Erhabene
ist mit der reinen Achtung, die wir vor dem Sittengesetze haben,
verwandt. Daher Kants berühmtes Wort: „Zwei Dinge erfüllen
das Gemüt mit immer neuer Bewunderung ... der bestirnte Him-
mel über mir und das moralische Gesetz in mir
1
.“ — So ergibt
sich das Schöne zuletzt als ein Sinnbild des Sittlichen.
In der künstlerischen Tätigkeit endlich enthüllte Kant das grund-
sätzlich S c h ö p f e r i s c h e und feierte das künstlerische Genie
als „eine Intelligenz, welche wirkt wie die Natur“.
Damit war die alte Lehre von der Kunst als einer „Nachahmung“
vollständig überwunden und die Schätzung des Künstlers unendlich
erhöht.
Die Grundlegung der Ästhetik, welche Kant lieferte, ist eine
weithin leuchtende, in der Geschichte der Philosophie ihresgleichen
suchende Meisterleistung. Mit seinem Begriffe des Schönen löste
Kant für alle Unterrichteten auf immer die Ästhetik vom Empiris-
mus los, die Kunst vom Utilitarismus, beide vom Rationalismus
und Intellektualismus. Er gab der Kunst und dem Schönen eine
transzendentale Grundlage.
In dem damals philosophisch hochgebildeten Deutschland wirkte
die neue Lehre vom Schönen wie eine Erlösung. S c h i l l e r u n d
G o e t h e traten ihr freundlich gegenüber und suchten sie jeder
in seiner Weise zu verwerten und weiterzubilden.
1
Kant: Kritik der praktischen Vernunft, Teil 2, Methodenlehre, Beschluß, in:
Kants Werke, Bd V, Berlin 1908, S. 161.