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will. (So unter Mitberücksichtigung der Rasse der sonst geistvolle
Franzose H i p p o l y t e T a i n e
1
. )
Nach empiristischer Auffassung gäbe es keine metaphysischen
Hintergründe des Schönen und demgemäß auch keine überindivi-
duellen Merkmale desselben, außer den durch die Vermischung mit
dem Angenehmen, Nützlichen und Biologischen gegebenen, welche
zuletzt alle auf Subjektivismus hinauslaufen.
In der Kunstphilosophie versagt der Empirismus noch mehr als
auf anderen Gebieten der Philosophie. Er erweist sich hier noch
deutlicher als das, was er ist, als eine Philosophie der Oberfläche.
Die stärkste Stütze des Empirismus und Materialismus jeder Art
in der Kunstphilosophie ist jener R e l a t i v i s m u s , welcher die
geschichtliche Verschiedenheit der Kunststile zu zeigen scheint.
Aber den tieferen Grund für diese Verschiedenheiten ahnen die
Empiristen nicht einmal. Er liegt zuletzt in den geschichtlich wech-
selnden metaphysisch-religiösen Einstellungen der Völker. Zum Bei-
spiel ist die altindische Darstellung eines Gottes mit vielen Armen
aus der mehr pantheistischen Auffassung der Naturwirksamkeit
des Gottes, also sinnbildlich zu erklären. Ist uns diese Auffassung
auch nicht geläufig, so verliert sie doch ihre Fremdartigkeit und
Relativität, sobald man sie erkannte und sich in sie hineinlebte.
Ähnlich steht es mit den totemistischen und magischen Tierdar-
stellungen in vielen uns fremdartigen Kulturen. Sobald wir ihnen
auf den Grund kommen, können wir die großen künstlerischen
Leistungen nicht verkennen, und der Relativismus verflüchtigt sich!
Man denke nur an die unübertreffliche Meisterschaft der Tierdar-
stellungen mancher uralter Höhlenmalereien.
Im folgenden kommen wir auf empiristische Ansichten wieder-
holt zurück. Ein Eingehen auf das heutige empiristische Schrifttum
ist daher überflüssig. Vergleiche dazu meine „Gesellschaftslehre“
2
,
wo die verschiedenen Fassungen der empiristischen Kunsterklärun-
gen dargelegt und in gesellschaftswissenschaftlicher Hinsicht geprüft
werden
3
.
1
Hippolyte-Adolphe Taine: Philosophie de l’art, Paris 1865; Philosophie der
Kunst, aus dem Französischen übertragen von Ernst Hardt, Leipzig 1902-03.
2
Gesellschaftslehre, 4. Aufl., Graz 1969, S. 357-359 [Othmar Spann Gesamt-
ausgabe, Bd 4],
3
Siehe über das neuere Schrifttum Emil Utitz: Geschichte der Ästhetik = Ge-
schichte der Philosophie in Längsschnitten, Bd 6, Berlin 1932.
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