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III. Ergebnisse der geschichtlichen Betrachtung
Unser geschichtlicher Überblick ließ die gewaltige geistige Arbeit,
welche von Platon bis Flegel geleistet wurde, sowie die Denkauf-
gaben erkennen, die noch zu lösen sind.
Der Kampf der Geister um die Einsicht in das Wesen des Schönen
und der Kunst ging und geht heute noch teils gegenüber den Empi-
risten, teils innerhalb der idealistischen Richtungen selbst, wie
schon erwähnt, um die folgenden Hauptfragen: erstens um das
Verhältnis des Schönen zum Nützlichen und sinnlich Angenehmen;
sodann um das Verhältnis des Schönen zum sittlich Guten; ferner
zum Wissen und der Wahrheit; endlich zum Heiligen und Meta-
physisch-Religiösen.
Eine weitere Reihe von Denkaufgaben ergibt sich in seelen-
kundlicher Hinsicht um das Verhältnis des Schönen zu den in der
herrschenden Seelenlehre unterschiedenen Grundbestandteilen der
Vorstellung, des Gefühls und des Willens.
Eng damit zusammen hängen ferner die Fragen, ob es sich beim
Schönen und der Kunst entweder um bloß subjektive, wechselnde,
daher nicht allgemein verbindliche Seelenvorgänge und Urteile oder
aber um objektive, gegenständlich begründete, daher allgemein ver-
bindliche Urteile, ähnlich den logischen Sätzen, handle.
Außer diesem Verhältnisse des Schönen zu anderen Lebensgebie-
ten zeigte sich endlich noch von besonderer Bedeutung die Frage,
in welchem Verhältnisse innerhalb des Schönen selbst Gehalt und
Gestalt, Inhalt und Form zueinander stehen.
So viel über das Grundsätzliche, welches die Lehrgeschichte uns
an Denkaufgaben hinterläßt. Was sich abgeleiteterweise noch daraus
ergibt, wird sich im folgenden von selbst zeigen.
Die Lehrgeschichte beweist uns auch, daß sich alle jene Fragen und
Denkaufgaben nur aus dem Gesamtganzen eines philosophischen
Begriffsgebäudes, sei es eines idealistischen, sei es eines empiristi-
schen, lösen lassen; daher sich denn auch in beiden Fällen grundsätz-
lich verschiedene Lösungen ergeben.