Table of Contents Table of Contents
Previous Page  8323 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 8323 / 9133 Next Page
Page Background

263

Insofern das Schöne ebenso auf Eingebung zurückgeht wie das

Wahre, wohnen beide allerdings nahe beieinander. Aus demselben

Grunde spricht man auch mit Recht von „künstlerischer Wahrheit“

oder „innerer Wahrheit“ des Schönen. Denn nur bei zugrunde lie-

gender Eingebung und bei ebenbildlicher Gestaltung der Eingebung

hat das Schöne Wahrheit in sich. Mit Recht sagt daher Novalis: „Je

poetischer, je wahrer.“

Auch darin gleichen sich Wahrheit und Schönheit, daß der Begriff

Wahrheit erlangt, wenn er mit der Eingebung übereinstimmt (wor-

aus sich dann auch die Übereinstimmung mit dem Gegenstande er-

gibt); die Gestalt aber Schönheit erlangt, wenn sie die Eingebung

getreu, ebenbildlich wiedergibt.

Hieraus ist die innigste Verwandtschaft von Wahrheit und

Schönheit abermals verständlich! N i c h t n u r d e r G e l e h r t e ,

a u c h d e r K ü n s t l e r m u ß a u s d e r T i e f e s e i n e s

W e s e n s W a h r h e i t s s i n n h a b e n . Der Wahrheitssinn ist

aber kein rein ethischer Begriff!

Hierzu bedarf es nur folgender Einschränkung. Das Wahre gibt

die Eingebung durch treue Vergegenständlichung im Begriffe un-

mittelbar wieder; das Schöne gibt sie durch die S i n n b i l d -

1 i c h k e i t e n mehrerer Ebenen, der zeitlichen, räumlichen, sinn-

lich-stofflichen, wieder.

Dadurch entstehen allerdings Verschiedenheiten; jedoch können

diese niemals den Kern der Sache angreifen. Shakespeare gestaltet

z. B. im „Macbeth“ Wesen und Werden des Cäsarenwahns aus einer

ewig gültigen Eingebung heraus in kristallener Klarheit. Jeder

wahre Begriff desselben, der „psychologische Begriff“, müßte genau

mit dem Kerne des shakespearischen Dramas übereinstimmen, ob-

wohl im psychologischen Begriffe nichts von Hexen und Weissagun-

gen vorkommt. Jede Herrschergewalt, die in Cäsarenwahn ausartet,

weissagt sich eben selbst, daß sie sich unüberwindlich machen könne;

sie findet dafür auf welche Weise immer Gründe und bedarf dazu

nicht gerade der Hexen. Und gibt es eine tiefere Wahrheit, als daß

der unablässig strebende Mensch, wie Homers Odysseus, zuletzt

s c h l a f e n d seine Heimat finde; daß, „wer strebend sich be-

müht“, wie Goethes Faust, erlöst werden könne; als daß jeder

geschichtliche Mensch, der politische, kriegerische und geistige, einen

Auftrag von oben, und sei es nur durch seine Begabung, erhalte, sich