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Grund, warum das Schöne, Wahre und Gute von altersher als eine
Einheit höherer Art empfunden und als der geistige Hort des Men-
schen, von den Göttern verliehen, empfunden wurde.
Bleibt noch die Frage, ob die Kunst auch das U n s i t t l i c h e
u n d B ö s e behandeln dürfe.
Schon früher zeigte sich, daß in einem bestimmten Sinne kein
Gegenstand von der Kunst ausgeschlossen sei; so auch das Unsitt-
liche und Böse nicht, jedoch: Es muß als Böses erscheinen!
Dies ist erstens durch die Eingebung, zweitens durch das Verhält-
nis zur Gemeinschaft, drittens durch die Rückverbundenheit ge-
geben.
Das Sittliche nämlich, also das Vervollkommnende und Wieder-
vervollkommnende ist ohne Gemeinschaft nicht denkbar, daher das
Gemeinschaftsmindernde des Bösen zur Erscheinung gebracht wer-
den muß. Auch der Künstler persönlich sowie die von ihm gefaßte
Eingebung zeigt sich überall als g 1 i e d h a f t, als in Gemein-
schaft; keineswegs aber als auf sich selbst gestellt, sich selbst genü-
gend, autark. Daher denn auch Meister Eckehart mit Recht sagt:
„Was ist gut? Was sich gemeinet“ (vergemeinsamt).
Was nicht wesensgemäß vergemeinschaftet, nicht gliedhaft und
rückverbunden ist, ist daher das der Gemeinschaft W i d e r s p r e -
c h e n d e . Und dieses, der Lebens- und Weltordnung Widerspre-
chende, insofern auch Entwurzelte, der Rückverbundenheit im Gan-
zen Entfallene — das ist eben das U n v o l l k o m m e n e , W i -
d e r s i t t l i c h e , B ö s e .
Im Schönen ist demnach das Unvollkommene, Unsittliche, Böse
wohl darstellbar, es muß aber in seinem Widerspruche zur Gemein-
schaft und zur göttlichen Weltordnung gezeigt werden. „Ri-
chard III.“ und „Macbeth“ wären seichte Verbrecherstücke, würde
der blutige Widerspruch der Helden zur Gemeinschafts- und Welt-
ordnung in ihnen nicht gestaltet. Der Künstler tritt mit der Dar-
stellung dieses Widerspruches nicht als Sittenprediger auf, vielmehr
als ein die künstlerische Wahrheit aus dem Sachgehalte der Ein-
gebung getreulich Schöpfender.
Dieses Zusammentreffen des echten Schönen mit dem Guten be-
ruht, wie gezeigt, nicht darauf, daß sich der Künstler auf die ihm
fremde Ebene der Politik und der Theorie begibt, vielmehr darauf,
daß das Schöne in ihrer Wurzel, nämlich der Eingebung, mit dem