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Nach Platon, Plotin und Meister Eckehart ist das Gute (Vollkommene) die
Verähnlichung des Menschen mit Gott.
Ist Sittlichkeit Vervollkommnung, dann ist sie mit dem, was sie
vervollkommnen will, nicht einerlei. Dies völlig klarzustellen, ist
für das Verhältnis von Sittlichkeit und Kunst entscheidend; daher
verweilen wir noch bei dieser Frage.
Vielfach herrscht die Meinung, das Sittliche gehöre ausschließlich
dem Bereiche der Gemeinschaft an. Jedoch die vollkommene Ge-
meinschaft an sich ist nur das Höchstmaß an Vergemeinschaftung,
das heißt, an geistiger Gegenseitigkeit, gegenseitiger geistiger Er-
weckung; sie ist also wohl der Boden, auf dem Sittlichkeit sich
entfalten kann, an sich selbst aber ist sie nicht sittlich. Dagegen sind
alle Bemühungen, welche darauf ausgehen, die vollkommene
Gemeinschaft zu verwirklichen, sittlich.
Und das gilt auf allen Gebieten. Das vollkommene Denken z. B.
ist selbst nichts Sittliches, sondern logisch, es gehört dem Wissen
an; aber alle Bemühungen, welche darauf abzielen, das vollkom-
mene Denken auszuüben, sind sittlich! Das vollkommene Leibes-
leben ist selbst nicht sittlich, sondern der Inbegriff der Gesundheit,
aber alle Bemühungen, welche auf ein vollkommenes, dem Geiste
dienliches Leibesleben abzielen, sind sittlich (falls nicht höhere
Ziele dem zuwider wirken).
So durch alle Gebiete des Lebens hindurch und auch in bezug auf
die Schönheit: Die Schönheit ist selbst nichts Sittliches; aber alle
Bemühungen, welche auf die vollkommene Schönheit und Kunst
abzielen, sind sittlich.
Hiermit ist das entscheidende Verhältnis bezeichnet: Das Schöne
ist als Gestaltung der rückverbundenen Eingebung durchaus etwas
Arteigenes, es ist weder mit dem sittlich Guten noch mit dem
begrifflich Wahren einerlei.
Auch das Innewerden des Vollkommenen und seiner Gesolltheit
beruht auf Eingebung. Und hierin erkennen wir das innigste Band
zwischen dem Schönen, Wahren und Guten. Hierin haben wir den
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kommnung siehe in meinen Büchern: Gesellschaftslehre, 4. Aufl., Graz 1969,
S. 442 ff. [= Othmar Spann Gesamtausgabe Bd 4]; Gesellschaftsphilosophie,
2. Aufl., Graz 1968, S. 135 ff. und öfters [= Othmar Spann Gesamtausgabe
Bd 11].