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Guten einerlei ist. Das Schöne ist selbst das Gute, aber als Gestalt;

das Schöne ist auch das Wahre, aber als Gestalt. Der Widerspruch des

Nicht-Guten, des Bösen zum Wesen der Dinge muß daher zur

Erscheinung kommen, sobald dieses gestaltet wird.

Das bestätigt denn auch die G e s c h i c h t e , derzufolge kein

Drama, kein Epos, kein Roman, keine Symphonie möglich ist,

ohne das Übel und das Böse mitdarzustellen oder wenigstens zu

berühren. Sogar für die bildende Kunst hat das eine wenn auch

eingeschränkte Gültigkeit; wie denn auch die gotischen Dome die

Dämonen und Ungeheuer in sich aufnahmen!

Vergebens sträubt man sich, das Böse und Dämonische, damit

auch das für sich allein genommen Häßliche als Bestandteil des

Schönen in dem Sinne, den wir soeben auseinandersetzten (nämlich

als ein zu Überwindendes und zu Tilgendes), anzuerkennen. Aber

die künstlerische Wahrheit fordert es, der Wahrheit des Weltlaufes

gemäß!

Darum, zur Ilias gehört Thersites, der bösartige Schmäher, zu

Odysseus die List, sich vor der Welt zu retten (als Gegengift gegen

das Gift des Bösen), zu Siegfried Hagen, zur Sakuntala ein König,

welcher gegen die Dämonen kämpft; und da die Religion Zara-

thustras sogar zur lichten Gottheit, Ahura Mazda, die Finsterwelt

des Ahriman hinzudenkt, kann die altpersische Kunst das Böse

niemals ganz übergehen. Darum fordert wesensgemäß im Schauspiel

der Gute, wenn nicht geradewegs einen Bösen als Gegenspieler, so

doch ein zu überwindendes Unvollkommenes und Böses. Darum

gehören die Gestalten des Bösen, so Falstaff, Caliban (in Shake-

speares „Sturm“), Mephisto, das Medusenhaupt, dessen Anblick

versteinert — sie alle gehören der höchsten Kunst an. Gerade sie

kann es nicht entbehren, und am wenigsten auf die Aufgabe ver-

zichten, das Böse in seinem Widerspruche zur wahren Gliedhaftig-

keit und Rückverbundenheit, zuletzt, daraus folgend, in seiner

N i c h t i g k e i t darzustellen! Richard III. liefert als ein gewalti-

ger Heerführer des Bösen dem Guten in der Welt eine Schlacht, die

immer neu geschlagen werden muß, so lange es eine Geschichte gibt.

Der Künstler selbst teilt dabei das Los des Guten oder des Bösen.

Es steht ihm, ähnlich den altpersischen und altindischen Helden,

frei, sich auf die Seite des Guten oder des Dämonischen und Bösen

zu schlagen. Das gilt es wohl zu verstehen. Die Kunst ist nicht Sitt-