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dung zu diesem Wesenhaften zeigt; Lope de Vega kann sich an der

Fülle nicht genug tun; Shakespeares Reichtum umfaßt das sinn-

bildhafte Märchen, das Leben selbst und die Geschichte; Goethe

zeigt den durch alle Bahnen des Lebens stürmenden, unablässig zum

Höchsten strebenden Menschen im „Wilhelm Meister“ wie nochmals

im „Faust“, aber auch im „Werther“, im „Goetz“ und verhohlen in

allen anderen seiner Werke.

Einer ganzen Welt gegenüber muß der Künstler seine Liebe er-

weisen. Aus seiner Eingebungstiefe folgt Eingebungsweite und dar-

aus das weite Herz. Der Dichter muß seine Sonne scheinen lassen

über Gute und Böse.

Die Eingebungsweite und das weite Herz hatte Aristophanes im

Auge, wenn er sagte: „Die Knaben haben ihren Lehrer, der sie

unterrichtet, die Erwachsenen dagegen haben die Dichter“

1

.

Der Eingebung entspricht die Rückverbundenheit. Die Farbe,

welche sie der Liebe gibt, ist die metaphysische; jedoch, worauf

wir wiederholt stießen, in einer höheren Ebene, jene der F r e u d e

u n d H e i t e r k e i t . Für die hohe Kunst und das weite Herz

des Künstlers gilt darum sinngemäß, was Meister Eckehart in einer

deutschen Predigt sagt: „In Gott ist nicht Traurigkeit, noch Leid,

noch Ungemach. Willst du ledig sein alles Ungemachs und Leides, so

halte dich und kehre dich zu Gott und zu Gott allein.“ — Was im

Leben solche mystische Einkehr, das leistet in der Kunst das weite

Herz des Künstlers durch die Rückverbundenheit seiner Werke. —

So haben wir auch Demokrit zu deuten, wenn er sagt: „Die großen

Freuden stammen aus der Betrachtung der schönen Werke“

2

.

Eingebung und Rückverbundenheit gehen zusammen. In dem

weiten Herzen des Künstlers und der Tiefe der Rückverbundenheit

seiner Eingebung liegt auch H i n g a b e , und in der Hingabe ein

Lassen seiner selbst; und mit diesem, das Meister Eckehart vor

allem preist, beginnt das Werden des göttlichen Menschen.

So hat der Künstler gleich dem Mystiker eine Bahn vor sich, die

nie endet.

1

Aristophanes: Frösche, 1053.

2

Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, Griechisch und Deutsch,

Demokrit, Fragment 194, Bd 2, 4. Aufl., Berlin 1922, S. 101.