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Mit philosophischer Klarheit im Sinne des atheistischen „Philo-
sophen“ Ludwig Feuerbach äußert sich A n z e n g r u b e r (1839
bis 1889). Er sagt, „daß der Mensch alle jene Übermächte, nach
denen ihn in seinen Träumen verlangte, und alle Vollkommenhei-
ten, die er zu erreichen verzagte, Gott als Eigenschaft beilegte, und
denselben, wiewohl in kolossalen Proportionen, nach seinem Eben-
bilde formte“
1
. Hier war kein Platz mehr für Unsterblichkeit.
Diese Proben zeigen deutlich genug die innere Entmutigung,
welche die Künstler des neunzehnten Jahrhunderts unter dem Ein-
flusse der vordringenden materialistischen Philosophie ergriff. Ein
Dichter, der die Leere und das Nichts vor sich sieht, ist in jenem
letzten Seelenaufschwunge, ohne den echte Dichtung und Kunst
nicht sein kann, gelähmt.
Nur wenige verstanden es, sich diesem allgemeinen Untergange
zu entziehen, wie z. B. M ö r i k e ; oder sich wenigstens ein Ört-
chen festen Bodens zu retten, wie C o n r a d F e r d i n a n d
M e y e r (1825—1898), der sich dadurch zum größten Dichter
seiner Zeit entwickeln konnte:
Was Gott ist, wird in Ewigkeit
Kein Mensch ergründen,
Doch will er treu sich allezeit
Mit uns verbinden.
Was von der Dichtung gilt, gilt, wie sich von selbst versteht, auch
von allen anderen Künsten. Es wäre unschwer möglich, aus den
Urkunden des Lebens der bildenden Künstler, besonders der natura-
listischen Richtungen des neunzehnten Jahrhunderts, Zeugnisse glei-
cher Art zu finden
2
.
C.
P e s s i m i s m u s . D a s Z e i t a l t e r d e r I r r e n ä r z t e
Das war die Giftfrucht der Aufklärung!
Das letzte Ende des in der Dichtung vor über hundert Jahren als
Realismus, Naturalismus, Psychologismus noch verhältnismäßig zu-
rückhaltend begonnenen Vorganges sehen wir heute in allen Kün-
1
Wilhelm Lütgert: Die Religion des deutschen Idealismus, . . . , S. 233.
2
Einige Hinweise bei Hans Sedlmayr: Verlust der Mitte, Salzburg 1948.