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selbst, das heißt, nicht ohne Vorbedingung, Vermittlung. Diese schafft

für uns die Sinneserfahrung, welche mit der leiblich-sinnlichen Ent-

wicklung gegeben ist.

Es bestehen hier nur zwei Möglichkeiten: Der menschliche Geist

ist entweder von Ewigkeit her präexistent, wie dies die monadolo-

gische und die indische Auffassung meint; oder er wird jeweils erst

geschaffen (der sogenannte Kreatianismus). In beiden Fällen ist der

Geist vor aller Sinnesempfindung. Jede andere Möglichkeit wäre

materialistisch, so der sogenannte Traduzianismus, der den Geist aus

den Eltern ableitet.

Darum ist der Geist auf dieses Leben wohl weniger angewiesen,

als man meinen sollte. Darauf scheint ja auch das traumhafte Gefühl

vom Inhalte unseres ganzen Lebens zu deuten, das keinem fremd ist.

,Owê war sint verswunden

alliu mîniu jâr?

Ist mir min leben getroumet,

oder ist ez wâr?‘

singt Walther von der Vogelweide im Rückblicke auf sein Leben.

Calderons ,Das Leben ein Traum

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, Shakespeares ,Sommernachtstraum‘,

Grillparzers ,Der Traum ein Leben' sprechen dasselbe vernehmlich

zu unserm Herzen.

Und das Schicksal Frühverstorbener erscheint uns jetzt verständ-

licher, trotzdem es mit unserem Leben eine ernste Sache bleibt. Was

hier vergänglich und wie traumhaft ist, ist doch nicht nichts.

Alles in allem: Die Sinnesempfindung kann dem Geiste nur zeigen,

was er in irgendeiner Weise schon in sich hat. Daher, so folgt: Sie

b e f r e i t d e n G e i s t v o n e i n e r F e s s e l , regt ihn zu seiner

schaffenden Tätigkeit an, läßt ihn frei arbeiten.

Der Z e r s t r e u e r : Wie aber — zugleich schließt sie die Inner-

lichkeit der Natur auf?

Der S a m m l e r : Das ergänzt sich. Die Sinnesempfindung ist eine

Teilnahme unseres Geistes an der Natur, das heißt, in ihr dringt der

Geist durch die Hemmung und Fessel der Materie zur Innerlichkeit

der Natur vor.

Und daß er dies vermöge, beweist uns ja gerade, wie sehr sie jene

tief in ihm wohnenden Urbilder des Seienden bloßlegt, die er als

Ideenführer seinem Wesen nach in sich hat...

Doch lassen wir das jetzt beiseite, uns kommt es hier nur darauf

an, den Geist als vor der Sinnesempfindung bestehend, daher auch

ihrer Veränderlichkeit nicht verfallend, zu erkennen, daher der Natur-

vergänglichkeit zu entrücken.

Der Z e r s t r e u e r : Eine wahrhaft befreiende Ansicht vom We-

sen der Sinnesempfindung!

Wie ist es aber möglich, daß sie uns von der Materie als einer

Fessel befreie, da doch die Materie von ganz anderer Art ist als der

Geist?

Der S a m m l e r : Die Möglichkeit folgt aus dem Verhältnisse von

Materie und Geist, welches, ich will es gleich vorwegnehmen, durch