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das ,Gespräch', weil es ihr Trost brachte. Sie ließ es aber lange Zeit
liegen. Schließlich, als sie zuerst ihre schöne, halberwachsene Tochter
verlor und dann selbst, aus Gram schwer erkrankt, ihr Ende heran-
kommen fühlte, daher alles ins Reine bringen wollte, übergab sie
mir die Handschrift und betraute mich mit der Herausgabe.
In Erwartung des Todes steht der Mensch dem Ewigen näher,
darum lag ihr jetzt die Veröffentlichung sehr am Herzen, und sie
drängte mich nachzuholen, was so lange versäumt wurde. Ich ver-
sprach es feierlich.
*
* *
Warum hatte die geistvolle Frau, die selbst schöpferisch veranlagt
war, in der Poesie lebte und, da echte Poesie ohne Philosophie un-
denkbar ist, auch dieser nicht fremd war, mit der Herausgabe ge-
zaudert? Weil sie wußte, daß die philosophische Bildung des Volkes
der Dichter und Denker gesunken, ja geradezu in Verfall geraten
war. Ein Philosoph der Romantikerzeit, Julius Hamberger, erzählt
uns, in der Kantischen und Fichtischen Periode sei der philosophische
Enthusiasmus so groß gewesen, ,daß selbst die poetischen Geistes-
erzeugnisse eines Goethe und Schiller bei den deutschen Buchhänd-
lern kaum eine so freudige Aufnahme finden konnten als die philo-
sophischen Schriften eines Fichte'. Wo waren nun diese großen Zei-
ten? Karoline konnte sich nicht verhehlen, daß das Verständnis des
,Gesprächs', welches vor hundert Jahren jedem Gebildeten deutscher
Zunge leichtgefallen wäre, heute vielen schwierig dünken, wenn nicht
ganz verschlossen bleiben mußte. Es fehlt heute an der beharrlichen
philosophischen Besinnlichkeit, die erst den höheren Menschen macht.“
(Hier hat Spann, wohl auf Anraten Wladimir von Hartliebs, mehr
als eine Seite gestrichen, auf der er von dem Bemühen des Heraus-
gebers berichtet, „dem heutigen Leser alle Schwierigkeiten, ja das
Denken überhaupt abzunehmen“.
Eine Denkmaschine von der Art des Nürnberger Trichters, erklär-
ten die Techniker, gäbe es noch nicht, und so blieben nur die bisheri-
gen, altvaterischen Mittel, „gleichsam mit der Schrift auch das Abc
mitzuteilen und den Anstieg sachte zu verteilen“. Was freilich völlig
gegen den Rat des Pythagoras, man müsse dem Zögling immer noch
eine neue Last aufbürden, verstieß, so daß der Herausgeber in arge
Zweifel geriet: „ . . . w e n n am Ende doch der Mensch selber denken
müßte, durchaus selber, und es ihm niemand abnehmen könnte; ja,
das innere Selbsttun sogar zum eigentlichen Wesen des Menschen
gehörte?“)
„Zweifel dieser Art wollten auch mich dazu bestimmen, die Hand-
schrift zurückzuhalten. Denn nur
wer
die andere Hälfte des Ringes be-
sitzt, ist des Geheimnisses würdig.
Aber was half es! Das feierlich gegebene Versprechen mußte ein-
gelöst werden.
Und so gehen denn diese Blätter, in denen ich alles, so gut es ging,
zu erleichtern und auf seinen faßlichen Anfang zurückzuführen suchte,
hinaus, auch wenn sie sich nur an den u n z e i t g e m ä ß e n Leser
wenden können; an jenen, der die Seelenunruhe des Denkens und