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gen und als ein und dasselbe zu bezeichnen. Aber der Geist und das
Denken sind das dem Schöpfer wahrhaft ebenbildliche Sein, die
Natur hingegen kann nur dessen Gegenbild sein, die „Fußstapfen
Gottes“, wie Meister Eckehart sagt.
Was also ist Sein? Die Antwort ergibt sich schon durch die Um-
kehrung des Satzes: Das Sein ist : nämlich ein „Seiendes“! Es
ist nicht ein totes und sich selbst in jeder Hinsicht immer gleiches,
nicht ein ruhendes oder leidendes, sondern ein tätiges, ein leben-
diges, ein „seiendes“ Sein.
Wäre Sein schlechthin gleich Sein, dann wäre es das an sich immer
Gleiche: die bewegungslose Ruhe. Die „Kategorienlehre“ aber gibt
Einsicht in den alles Sein aus dieser Ruhe und Starrheit aufrüttelnden
Tatbestand: S e l b g l e i c h h e i t i s t n u r d u r c h S e l b -
f r e m d h e i t . Nichts, was geschaffen ist, besteht nur aus sich selbst,
aus dem sich selbst gleichen Sein; alles ist gebunden an ein es Be-
gründendes und Tragendes, an ein Sein höherer Stufe und höherer
Ordnung, in das es mit seinem „selbfremden“ Wesenskern hineinragt.
Aus der „Kategorienlehre“ ergibt sich somit ein Stufenbau von
Schaffenskräften bis zur höchsten Stufe des göttlichen Welterhalters.
Die höhere Stufe erfüllt die niedere durch ihr Schaffen mit Leben,
welche aus diesen inneren Lebensimpulsen heraus selbst erst zu
schaffen fähig ist. Diese Lebensimpulse bedeuten für die niedere
Seinsstufe ein sich stets wiederholendes Neugeschaffenwerden, durch
welches das Sein jung erhalten wird. Sein ist Schaffen, aber dieses
erfolgt nicht aus sich selbst allein, sondern durch ein immerwährendes
Geschaffenwerden. Das aber heißt: „A l l e s S e i n i s t S c h a f -
f e n a u s G e s c h a f f e n w e r d e n “ (Bd 10, 48). Mit dieser
Inhaltsbestimmung des Seins hat eine in der frühgriechischen Philo-
sophie aufgeworfene und bereits von Platon im ganzheitlichen Sinne
beantwortete, aber später immer neu gestellte und behandelte Grund-
frage der Philosophie eine alle gegensätzlichen Auffassungen über-
höhende Antwort gefunden.
Daraus folgt eine innere D r e i f a c h h e i t a l l e s S e i n s :
Über dem sinnfälligen Dasein oder dem selbgleichen Sein ist das es
schaffende Vorsein oder selbfremde Sein, und ebenso ist das selb-
gleiche Sein (als die Potenz für eine weitere Ausgliederung) als ein
fortenthaltendes oder vermögliches Sein zu bezeichnen. Es ergibt