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sich ein Rang der Stufen: S e l b f r e m d h e i t i s t v o r S e l b -
g l e i c h h e i t , Selbgleichheit vor V e r m ö g l i c h k e i t oder
Fortenthaltung.
Diese Seinsbestimmung zieht bedeutsame Folgerungen nach sich,
von denen vor allem drei hervorzuheben sind:
(1) Dem menschlichen Geiste wird am geistigen Schaffen, am
„Schöpfungsgang des Geistes“, das Wesen des Seins erlebbar, als
ein Schaffen aus Geschaffenwerden. Die G e i s t e s l e h r e
w i r d z u m P r o t o t y p d e r S e i n s l e h r e ! Doch nicht
nur das Wesen des Geistes ist Schaffen. Da Gott die Welt nach seinem
Ebenbilde gemacht hat, konnte auch die Natur keine tote werden,
sondern ebenfalls eine tätige, eine schaffende.
(2) Der eleatisch-heraklitische Streit, ob das Sein die völlige Ruhe
oder der ewige Wechsel sei, ist damit aus der Welt geschafft und als
ein Gegensatz der Stufen erkannt. Auf der jeweils höheren Stufe er-
kennen wir die Ganzheit, die auf der niederen ausgegliedert wird; im
Bereiche des Geistes: die Eingebung oder der Auftrag von oben.
Dieser ist während der Ausführung desselben das stets Gleichblei-
bende, die ausfuhrende oder ausarbeitende Tätigkeit hingegen die Ver-
änderung. Was von oben gesehen veränderlich ist, ist für die untere
Stufe das Gleichbleibende, die ausgliedernde Ganzheit.
(3) Das Sein erweist sich demnach nicht als ein einfaches, sondern
als ein innerlich gegliedertes und gestuftes. Und es wird nach oben
hin nicht, wie die herrschende empiristische Logik meint, immer
ärmer bis zum absolut leeren, reinen Sein; sondern ganz im Gegen-
teil: das höchste Sein ist der Welt gegenüber die Fülle schlechthin,
aber die unausgegliederte Fülle, die reine Potenz, die alle Dinge in
sich befaßt und in sich trägt. Diese n o c h n i c h t ins Dasein
getretene Ganzheit, das Vorsein, ist von unten betrachtet ein „Nichts“
(als noch nicht da seiend), von sich selbst aus gesehen die Fülle, der
reine Aktus (actus purus). Damit wird der Satz völlig einsichtig:
„ A l l e s S c h a f f e n i s t e i n S c h a f f e n a u s d e m
N i c h t s “ (Bd 10, 60). Denn das Nichts ist das Vorsein! So ist
alles Sein (= Schaffen) dem Sein Gottes ebenbildlich nach den
Worten des Meisters Eckehart: „Gott hat also alles erschaffen . . .
er hat es aus dem Nichts gerufen, nämlich aus dem Nicht-Sein, zum
Sein . . (Bd 9, 327).