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sozialen Ganzen. Die Kernfrage des Streites zwischen der historischen und
der abstrakten Auffassung der Nationalökonomie muß demgemäß dahin
formuliert werden: ob das Objekt der Nationalökonomie die ganze
empirische
Wirtschaft
in
ihrem
historisch-gesellschaftlichen
Zusammenhange oder ein reiner, abstrakter Teil-Inhalt der Gesellschaft
sei?
1
— Wie die Entscheidung hierüber auch ausfallen möge, immer ist
eine prinzipielle Bestimmung über das Verhältnis der Wirtschaft zur
Gesellschaft notwendig in ihr eingeschlossen. Schon weil eine Ausdehnung
der nationalökonomischen Untersuchung auf die ganze empirische
Wirtschaft den äußeren Umfang und die innere Konstitution der
Nationalökonomie ändert und damit auch ihre Stellung im Kreise der
Gesellschaftswissenschaften verrückt. Wird nämlich die e m p i r i s c h e
Wirtschaft als Gegenstand der Nationalökonomie betrachtet, so verliert
diese dadurch prinzipiell ihren theoretischen Charakter und wird zu einer
deskriptiv-historischen Wissenschaft von den Parallelismen der
Wirtschafts- und Sozialgeschichte.“ — „Die bisherigen Exemplifikationen
haben auch hinreichend dargetan, daß das eigentliche Problem, welches
der Verhältnisbestimmung eines sozialwissenschaftlichen Objektes (z. B.
der Wirtschaft) zu den andern sozialen Erscheinungen zugrunde liegt, das
ist: zu zeigen, daß und wie das Objekt einer einzelnen Sozialwissenschaft
(z. B. der Nationalökonomie) ein T e i 1 i n h a 1t des Ganzen der
Gesellschaft sei. Die selbständige Untersuchung des Problems der
Bestimmung des Verhältnisses der Wirtschaft zur Gesellschaft nimmt
damit notwendig die allgemeinere Form einer Z e r l e g u n g des Ganzen
der Gesellschaft in selbständige, innerlich zusammenhängende
Erscheinungskreise, ,Teilinhalte´, oder, wie wir sie nennen wollen,
O b j e k t i v a t i o n s s y s t e m e an.“ — „Die Objektivationssysteme
sind A b s t r a k t i o n e n , nicht empirische Gebilde.“
2
„Wie bisher mehrfach entwickelt, ist das Verhältnis der Wirtschaft zur
Gesellschaft nur ein S p e z i a l f a l l des Verhältnisses der
gesellschaftlichen Teil- oder Objektivationssysteme zum sozialen Ganzen
überhaupt.
Demgemäß haben wir auch für unsere dogmenkritische Untersuchung
des Verhältnisses von Wirtschaft und Gesellschaft uns die
a l l g e m e i n e r e Frage vorzulegen: Wie hat man sich den Aufbau der
gesamten gesellschaftlichen Erscheinungswelt bisher gedacht? Oder mit
andern Worten: In w e l c h e O b j e k t i v a t i o n s s y s t e m e h a t
m a n
d i e
W e l t
d e r
g e s e l l s c h a f t l i c h e n
E r s c h e i n u n g e n a u s e i n a n d e r g e l e g t ?
3
“
1
In einer Anmerkung stellt hier: „Schon in der Geschichte der Nationalökonomie
ist von jeher zu beobachten, wie es sich immer darum handelt, den spezifischen T e i l
gesellschaftlicher Erscheinungen, der das Objekt der Wirtschaftswissenschaft bilden
soll,
aus
der
empirischen,
gesellschaftlichen
Wirklichkeit
h e r a u s z u a b s t r a h i e r e n . “
2
Wirtschaft und Gesellschaft, Dresden 1907, S. 1 f., 6 und 7.
3
Wirtschaft und Gesellschaft, Dresden 1907, S. 8.