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Menschen bietet und was ihr manche große Männer (Nietzsche,
Schopenhauer) zugeführt hat. Das Sprichwort: „Jeder ist seines Glückes
Schmied“, ist nur ein schwacher Abglanz dieser Lehre, welche das Ganze
des eigenen Geistes dem Feuer eigenen Wollens und Schaffens allein zur
Läuterung anheimgibt.
Diesen Eindruck der tieferen Wesenheit der Einzelheits- oder /
Selbstheitslehre gilt es festzuhalten, damit wir wissen, was wir aufgeben
und verlieren, wenn wir sie als einen Grundirrtum sollten verwerfen
müssen.
Prüfen wir von hier aus, so erscheint uns zuerst die Einzelheitslehre
geradezu selbstverständlich. Denn wir alle haben den individualistischen
Gedanken schon mit der Muttermilch eingesogen! Unsere ganze
überlieferte Bildung ist in ihn gleich wie in ein Netzwerk
hineingesponnen. Im ganzen wirtschaftlichen und politischen Leben, in
unseren Rechts- und sittlichen Vorstellungen, in den gesamten
Staatswissenschaften, überall herrschen individualistische Begriffe und
Denkweisen, herrscht die einzelheitliche Einstellung vollständig vor.
Angesichts solcher Dinge fordert die Gewissenhaftigkeit von uns den
Zweifel und die Prüfung, damit wir nicht die Beute der Gewohnheit im
Denken werden.
Wo ist nun der wesentliche Fragepunkt?
Die verschiedenartigen praktischen Folgerungen aus den
individualistischen Grundvoraussetzungen können es nicht sein, denn
diese sind ja nur abgeleitet; es kann nur die letzte Grundvoraussetzung und
die Hochburg des Individualismus selbst sein, an die sich der Zweifel
wendet: Der Begriff des absoluten Individuums, der Selbstwüchsigkeit und
Selbstgenugsamkeit! Blickt man nun dieser dionysisch gepriesenen und in
der Tat verführerischen, bannenden Selbstgenügsamkeit auf den Grund —
dann zeigt sich, daß man gerade diesen grundlegenden Begriff doch noch
weiter zu Ende denken kann, als er von den Selbstheitslehrern gedacht
wurde. Es entsteht nämlich die Frage: Wie das Selbstgeschaffene, das
geistig auf sich allein Gegründete, an das (wenn auch nur als die Summe
aller Einzelnen verstandene) G a n z e a n g e k n ü p f t sei, und zwar an
zweierlei Ganze: An das gesellschaftliche Ganze und zuletzt (möge dieser
Befund auch die rein gesellschafts-wissenschaft- liche Zergliederung
überschreiten) an das kosmische Ganze, das Weltganze. An dieser Frage
liegt alles, denn in dem Verhältnis der
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