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Ausleben, ein freies Sich-Ausgeben (Tummelplatz) eigener Geisteskräfte.
In Wahrheit liegt das Wesentliche auch hier in der inneren Umbildung
jener Kräfte aus Gegenseitigkeit.
Wer in einen Gesellschaftsraum eintritt, fühlt die unausgesprochene
und vielfältige Verbindung, die durch alle Einzelnen hindurchgeht und
eine allseitige Verwobenheit, ein vielverschlungenes Gespinst schafft, das
eben der Zusammenhang ist, der hier besteht. Der Neu- / ling sowohl wie
auch der in geselligen Dingen Bewanderte wird sogleich von diesen
inneren Kräften bewegt und aufgeregt. Eine leise Scham und
Schüchternheit, die ihn dieser geschlossenen, größeren Welt gegenüber
erfaßt, heißen ihn seine Kräfte Zusammenhalten. Unvermerkt findet er
sich zugleich in Interessen und Gesprächsziele eingesponnen, denen er
wiederum zum Spiegel wird. Der Eifer, die zarte Beflissenheit, die in ihm
wach werden, sind die ersten Früchte, welche das Walten der geistigen
Kräfte, die ihn in sich eingliedern, zeitigt. Und ebensoviel bedeutet die
Verbindlichkeit, die sein äußeres Verhalten nicht nur, sondern mehr noch
seine inneren Regungen leitet und gestaltet. Die freundliche Gesinnung,
von der diese Verbindlichkeit getragen ist, bedeutet das Entspringen eben
solcher freundschaftlicher Gefühle und damit eine rein schöpferische
Wirkung auf den menschlichen Geist. Und zugleich ist diese
Verbindlichkeit ein schönes Gleichgewicht gegensätzlicher Kräfte und
also: beherrschte Kraft, Selbstzucht, welche abermals der inneren Bildung
der Persönlichkeit dient.
Diese Betrachtung zeigt, daß die scheinbare Selbstwüchsigkeit bei der
Anwendung geistiger Kräfte, von welcher der Individualismus wie auch
die gewöhnliche Meinung ausgehen, auch in der Geselligkeit deutlich als
Irrtum zu erkennen ist. Alle jene Regungen von Scham, Anteilnahme und
so fort beruhen ja auf inneren Veränderungen derselben geistigen Kräfte,
die sich angeblich so selbst- genugsam betätigen. Innere Veränderung
bedeutet eine Umbildung, also schließlich die Bildung von etwas Neuem,
das hinzukommt — eben jene neue, jene schöpferische Wirkung auf den
individuellen Geist, welche die Autarkie ausschließt. — Bei dieser
Betrachtung sind überdies zusammengesetztere Vorgänge, wie sie durch
Ehrgeiz, Wettkampf und ähnliches hervorgerufen werden, nicht einmal
berücksichtigt. Schon das Einfache genügt aber, um zu zeigen, wie aller
geistige Zusammenhang in der Geselligkeit zu etwas Objek-