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Überlieferung abhängig wäre. Das ist aber unannehmbar. Vielmehr ist die

Gesellschaft aus der inneren Natur unserer Geistigkeit heraus zu begreifen und

zu erklären, inwiefern sie die Lebensbedingungen für die individuelle Geistigkeit

enthält. Jene Auffassung ist daher nur versteckter Individualismus, der die Ge-

sellschaft aus den in Wahrheit allein s e i e n d e n , mit Trieben ausgestatteten

Einzelnen z u s a m m e n g e s e t z t sein läßt, aus den Individuen die einzige

Wirklichkeit ableitet, welche die Gesellschaft ausmacht.

Die Erklärung der Gesellschaft aus Trieben ist als eine schein-universalistische

zu bezeichnen.

D.

Die G e s e l l s c h a f t n a c h A r t d e r P l a t o n i s c h e n

I d e e n g e d a c h t

Das Wesen der Platonischen Ideen ist, soweit es hier in Betracht

kommt, folgendes: Das Allgemeine oder der Gattungsbegriff wird

als selbständige, übersinnliche Wesenheit gedacht, durch welche

allein die Einzelnen dieser Welt bestehen, und zwar durch „Teil-

nahme“ (jte-reftg) an diesem Allgemeinen. So besteht auch die

Idee des Staates oder der Gesellschaft (beide als allgemeine Wesen-

heiten oder Gattungsbegriffe zu denken), während die einzelnen

Staaten samt ihren Mitgliedern durch Teilhabung an jener Idee be-

stehen.

Diese Auffassung findet sich bei Platon und pflegt als „ T r a n -

s z e n d e n z d e r I d e e “ ( = Selbständiges, jenseitiges Bestehen

der Idee ohne die Dinge) bezeichnet zu werden. Sie findet sich zum

Teil und mehr oder weniger bedingt auch bei einigen mittelalter-

lichen Scholastikern, ferner in gewissem Sinne bei Hegel und sogar

bei den Romantikern in verschiedener und mehr oder weniger be-

dingter Form.

Ihre Schwierigkeit liegt für den Gesellschaftswissenschaftler zunächst darin,

daß sie, indem das Allgemeine, die I d e e , v e r s e l b s t ä n d i g t wird, die

Ganzheit als solche gewissermaßen substanziiert und sie dabei als eine nicht-kon-

krete, nicht-besonderte (also noch leere) faßt. Die Ganzheit wird dagegen ihrem

Begriffe nach in den Gliedern geboren, ist daher in selbständiger Substanzierung

neben den Gliedern nicht denkbar. Allgemeines und Ganzheit sind nicht voll-

kommen einerlei — daher kommen alle Schwierigkeiten der Ideenlehre. Die plato-

nische Ideenlehre vermag die Besonderheit der Einzelnen lediglich als den jeweils

verschiedenen Widerstand der Materie gegen die sich darstellende Idee zu erklä-

ren. Unbeurteilt, ob diese Lehre philosophisch richtig sei, ist sie gesellschafts-

wissenschaftlich unvollkommen. Denn ein an sich Allgemeines (Gattung, Idee)

und eine qualitätslose Materie (welche beide zusammen das / Konkrete ergeben)

stehen in der gesellschaftlichen Erfahrung einander nicht gegenüber, noch sind