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genannten „organischen Analogien“, z. B. indem Bluntschli „im Staate... den Mann im

großen, in der Kirche die Frau im großen“

1

, Schäffle in den Grenzen des Staates die

Epidermis sieht. Darum mußte der Versuch, den Begriff des gesellschaftlichen Ganzen durch

den Begriff des Biologischen zu fassen, leider mißlingen.

Einen noch schlimmeren Schein-Universalismus bietet

B. Die U m w e l t l e h r e o d e r M i l i e u t h e o r i e

Nach dieser Lehre ist der Mensch eine eindeutige, abhängige Funktion

der Umwelt. Jean-Baptiste Lamarck, nach welchem die Bildung der Arten

durch „Anpassung“ an die Einflüsse der Umwelt vor sich geht, vertritt

diese Auffassung in der Biologie (Beispiel: der lange Hals der Giraffe

entsteht durch die Hochstämmigkeit der Bäume, deren Blätter ihre

Nahrung bilden); Montesquieu

2

, zum Teil auch Herder

3

, später in

naturalistischer Weise: Buckle

4 5

, Taine

5

, Karl Marx, Tarde, Ratzel,

Gumplowitz / und andere vertreten sie mehr oder weniger streng in der

Gesellschaftslehre.

Um die Umweltlehre ganz zu verstehen, muß man sich der naturwissenschaftlichen

Betrachtungsweise erinnern, die der naturalistischen Soziologie Pate stand. Die Vorstellung

von der ursächlich-mechanischen Bestimmtheit des gesamten Weltgeschehens („Laplacesche

Weltformel“)

6

, also auch des Geschehens der Gesellschaft und Geschichte, beherrscht alles.

T h o m a s B u c k l e , ein Fortsetzer Comtes, war es vor allem, der die Geschichte als

Ergebnis der „Modifikation“ von Natur (äußerer Umwelt) und menschlichem Geiste

unbekümmert faßte

7

. — Ähnlich H i p p o l y t e T a i n e

8

. — F ü r T a r d e ist der

Mensch Ergebnis der Nachahmung („la societe c’est

1

Johann Kaspar Bluntschli: Geschichte der neueren Staatswissenschaften,

3.

Aufl., München 1891, S. 759.

2

Charles de Secondat Montesquieu: De l´esprit des lois, Paris 1748.

3

Johann Gottfried von Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit,

Riga 1785—92, Bd 13: Klima, Geschichte als „Naturgeschichte menschlicher Kräfte“,

Handlungen und Triebe nach Ort und Zeit — jedoch schlägt der umweltliche Gedanke bei

Herder nicht durch.

4

Henry Thomas Budde: Geschichte der Zivilisation in England, deutsch von Arnold

Ruge, Bd 1, 6. Aufl., Leipzig 1881.

5

Vgl. unten viertes Buch unter „Kunst“, S. 357 ff.

8

Siehe oben S. 67.

7

Siehe über ihn oben S. 45 und 70.

8

Siehe unten viertes Buch, S. 301 ff.