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D i e „Um w e l t “ i s t a b e r g r u n d s ä t z l i c h s c h o n
u n s e r e g e i s t i g e S c h ö p f u n g . Es hängt zwar nicht, oder
nur zum Teil, von uns ab, was Umwelt werden kann, wohl aber
daß es Umwelt wird. Wenn z. B. europäische Ingenieure nach Af-
rika kommen, dort Eisen und Kohle finden, die von den Negern
bisher nicht ausgebeutet wurden, nun aber Berg- und Hüttenwerke
schaffen, dann ist leicht ersichtlich, daß es die geistige Tat der Euro-
päer war, die den Naturschätzen ihren arteigenen Umweltcharakter
gab! Hier gilt Goethes Wort „Das Höchste wäre, zu begreifen, daß
jede Tatsache schon eine Theorie ist“
1
.
C.
D i e
L e h r e
v o n
d e n
g e s e l l s c h a f t l i c h e n
T r i e b e n
Der Gedanke dieser Lehre ist, daß die Gesellschaft auf den gesel-
ligen Trieben der menschlichen Natur beruhe, wie Geschlechtstrieb,
Mitteilungsbedürfnis, Mitleid, Mitfreude und ähnlichen „Sympa-
thiegefühlen“.
Für diese Auffassung pflegt man das Aristotelische Wort vom Menschen als
„politisches Tier“,
„
Ζώον πολιτικόν
“
,
anzurufen, völlig mit Unrecht, denn Ari-
stoteles hat dieses Wort mehr geistig als sinnlich gemeint.
Diese Lehre paßt vortrefflich in unser heutiges naturalistisches, rein induktives
Zeitalter, vermag aber eine Erklärung der Gesellschaft nicht zu geben. Aus
s o z i a l e n T r i e b e n k a n n m a n d i e G e s e l l s c h a f t a l s G a n z -
h e i t n i c h t a b l e i t e n . Den Geschlechtstrieb z. B. haben auch solche Tiere,
die nicht gesellschaftlich leben, sondern nur vorübergehend zum Zwecke der
Befriedigung des Triebes beisammen sind, wie Tiger, einsam schweifende
Schakale. Solche Tiere leben nicht in Herden, nicht einmal in ständigen Familien. /
Jene Gesellschaftlichkeit, die durch soziale Triebe tatsächlich begründet wird,
ist erstens eine begrenzte und zweitens — das ist entscheidend — eine willkür-
liche, zufällige. Ein Trieb kann von einem Vernunftwesen verändert oder ganz
unterdrückt und aus dem Herzen ausgerottet werden. Die Gesellschaft wäre
daher ein willkürliches Gebilde, wenn sie nur von dem Inhalt unserer Triebe
und deren zufälliger Gutheißung durch unsere Erkenntnis, Herkommen und
1
Weiteres über den Umweltbegriff siehe unten S. 333 ff. unter „Wissenschaft“
und S. 357 ff. unter Kunst, viertes Buch; vgl. Maria Brandner: Das Umweltproblem
in der Gesellschaftslehre, in: Nationalwirtschaft, Jg 2, Heft 6, Berlin 1929. Eine
Widerlegung der Umweltlehre in der Kriminologie bei Adolf Lenz: Grundriß
der Kriminalbiologie, Wien 1929. Lenz verlegt das Verbrechen seinem Wesen
nach in die Persönlichkeit und unterscheidet zwischen jenen Verbrechen, die in
der „Aktualisierung“, und jenen, die in der gesellschaftswidrigen Beschaffenheit
der Persönlichkeit (als potentieller Ganzheit) liegen. Siehe Lenz, Grundriß der ...,
S. 195, 130 und öfter.