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Von der heiligen Gertrud der Großen wird berichtet: „Merkte sie, daß je-

mand zerknirscht worden, so neigte sie sich mit innigem Mitleide zu ihm. Jedoch /

zeigte sie das nicht so sehr im Gespräch als vielmehr durch andächtige Gebete

für ihn vor Gott. Denn sie hütete sich sorgfältig, das Herz eines Menschen

in Freundschaft so an sich zu fesseln, daß er dadurch von Gott sich irgendwie

entfernte. Menschliche Freundschaft, die nicht ihr Fundament in Gott hatte,

mied sie wie etwas Todbringendes. Deshalb konnte sie auch nicht ohne Herzens-

qual ein zärtliches Wort von solchen anhören, welche sich weichlich gegen sie

betrugen.“

1

— Der Sinn dieses Verhaltens wie des Begriffes der „Gemein-

schaft der Heiligen“ überhaupt ist, daß darin die Beziehung des Menschen zum

Menschen einen mittelbaren Weg sucht, den über die Andacht.

Der Begriff der communio sanctorum nähert sich innig dem der Abgeschie-

denheit, von dem aber erst unten ausführlich zu sprechen ist

2

. — Der konstruk-

tive Begriff der Ganzheit, der in ihm steckt, ist vollständig richtig

3

. Dennoch ist

der Begriff der communio sanctorum zur Erklärung der gesellschaftlichen Erschei-

nungen nicht voll geeignet, vor allem, weil er keine Vermittlungen (Zwischenglie-

der, abgestufte Unterganzheiten) zwischen der höchsten Ganzheit und dem letzten

Glied, zwischen Mensch und Gott kennt; ohne solche Vermittlungen aber können

die Menschen einander nicht nahe kommen. Die communio sanctorum will ja auch

selbst ein heiliger, abgeschiedener, kein gesellschaftlicher Zustand sein.

F. K i n e t i s c h e r U n i v e r s a l i s m u s

Eine Auffassung, welche die Mängel der bisher genannten vermei-

det und besonders die lebendige Entwicklung jeder Ganzheit in

ihrem Begriff mit aufzunehmen vermag, möchte der oben

4

vorge-

tragene „kinetische Universalismus“ sein. Während die Platonische

Vorstellungsweise das Ganze „transzendent“, das will sagen ohne die

Glieder, zu denken nahe legt, stellt sich nach unserem Lehrbegriff

die Ganzheit in Gliedern, die E i g e n l e b e n h a b e n (vita

propria), dar; und während jene Vorstellungsweise das Ganze als

etwas Fertiges denken muß, ist die „Ganzheit“ nach unserem Lehr-

begriffe nicht nur A u s g l i e d e r u n g , sondern stets auch Um-

g l i e d e r u n g . Unser Absehen ging darauf, das Ganze nie als

etwas Fertiges, sondern als immer in Fluß befindliches zu erfassen,

als etwas, das sich im Werdegange erst selber schafft, eine lautere

Bewegung, ein Überschäumendes ist, das jede fertige Gestalt in

1

Johannes Weißbrodt: Der heiligen Gertrud der Großen Gesandter der

göttlichen Liebe, Freiburg i. B. 1920, S. 34 (= Aszetische Bibliothek).

2

Siehe unten S. 227 ff.

3

Vgl. darüber oben S. 163 ff. und unten unter „Verfahrenlehre“, fünftes

Buch, S. 633 ff.

4

Siehe oben S. 125 ff.