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E.
Die G e s e l l s c h a f t l i c h k e i t d e s
K u n s t s c h a f f e n s u n d K u n s t g e n i e ß e n s
Ein unmittelbares Ineinandergreifen der geistigen Akte mehrerer
ist auf ästhetischem Gebiete, im Gegensatze zum logischen, nicht
möglich. Eine der „Erörterung“ gleichartige Erscheinung gibt es
daher auf dem Gebiete der Kunst nicht, der künstlerische Vorgang
hat jene unmittelbare Gezweitheit nicht an sich. Ihm liegt Gemein-
schaft mit der Umwelt als eine F o r m d e r A b g e s c h i e d e n -
h e i t zugrunde! In der Kunst ist nur n a c h t r ä g l i c h e s M i t -
e r l e b e n (Widerhall, Reflex) vorhanden, als Kunstgenießen, nicht
Miterleben in der Konzeption selbst, die nur den Gegenstand (als
eingegebenen) vor sich hat. Die Rücksicht auf den Zuhörer, Zu-
schauer usw. hat allerdings schon beim Kunstschaffen eine große
Bedeutung, eine geburtshelfende Wirkung
1
. Ein Gleiches wie „Er-
örterung“ ist dies dennoch nicht.
Z u s a t z ü b e r d i e K ü n s t l e r a l s S t a n d
Der Sänger der alten Zeit, der Minnesänger mit seinem Knaben, die Werk-
stätte der alten Maler und Bildhauer mit ihren Jüngern, die Stiftungen größeren
Stiles, ähnlich etwa wie die alten Universitätsorganisationen, die Musikerorgani-
sationen und andere Künst- / lergenossenschaften der neueren Zeit — sie alle
bilden Ansätze zu einem eigenen Stande der Künstlerschaft, zu eigenen Gilden
oder Körperschaften; aber doch nur Ansätze. Denn einerseits ist der Künstler
an die staatsführenden Stände oder, in mehr kapitalistischen Zeiten, an das
M ä z e n a t e n t u m zu sehr gebunden; andererseits erschwert die Individuali-
tät des Künstlers gleichartige Zusammenfassungen von jener Art, wie sie bei
dem wissenschaftlichen Stande durch die engen Anknüpfungen an das Schulwesen
gegeben sind. Allerdings tritt in Zeiten einheitlichen Stiles der Gesichtspunkt der
Sonderindividualität sehr zurück, weshalb diese Zeiten oft größte Leistungen
ohne Namen aufbewahren (Heldenlieder, gotische Dome).
IV.
Die Kritik
Die Kritik ist, wie auf dem logischen Gebiete, so auch auf künst-
lerischem von besonderer Wichtigkeit. Sie berichtigt, reinigt und
scheidet durch Nachweisung des Wahren, durch die Beseitigung
alles Sonderlinghaften, Zufälligen, Krankhaften und durch Bestäti-
gung des Echten. Kunstkritik ist im letzten Grunde nichts anderes
1
Wie das schon früher ausgeführt wurde, siehe oben S. 139.