D r i t t e r A b s c h n i t t
Die Religion
Die Religionssoziologie sieht sich vor dieselben Gegensätze und
Grundentscheidungen gestellt wie die übrigen Teile der Soziologie:
zuerst vor den Gegensatz der individualistischen und universali-
stischen Auffassung der Gesellschaft, sodann vor jenen der empiri-
stischen und idealistischen Auffassung ihres Gegenstandes.
Nach der individualistischen Auffassung ist die religiöse Ge-
meinschaft als die Summe der Gläubigen zu erklären. Deren sub-
jektives religiöses Leben wird dadurch der eigentliche Gegenstand
der Wissenschaft, die Religionssoziologie wird zur R e l i g i o n s -
p s y c h o l o g i e , und zwar im subjektivistischen Sinne. Nach der
universalistischen Auffassung dagegen wird die Religion als gei-
stige Ganzheit erklärt, welche die einzelnen Gläubigen in sich als
Glieder befaßt, als geistige Ganzheit, welche im subjektiven Eigen-
leben der Glieder jeweils erzeugt wird und zur Erscheinung kommt.
Die Religionssoziologie wird dadurch zur Lehre von einer über-
individuellen Geistigkeit, zu einer o b j e k t i v e n G e i s t e s -
l e h r e , die allerdings das Eigenleben der einzelnen Menschen nicht
ausschalten darf. (Man denke als Beispiel an den christlichen Begriff
des corpus Christi mysticum.)
Der Widerstreit der individualistischen gegen die universalisti-
sche Auffassung liegt in den Fragen und Denkaufgaben der Gesell-
schaftslehre offen vor Augen. Anders steht es mit dem Gegensatze
„empiristisch — idealistisch“, der (wie sich auch bisher schon zeigte,
aber hier, wo er besonders umstritten ist, nochmals festgestellt wer-
den soll) nur ein mittelbarer ist. Erst insofern nämlich, als die zer-
gliedernde Untersuchung der Gesellschaftslehre bestimmte geistige
Inhalte, die sie als Gegenstand vorfindet, nicht einfach nach „induk-
tivem Verfahren“ äußerlich feststellen, äußerlich beobachten kann,
sondern vielmehr innerlich a u f f a s s e n , in ihrem inneren Wesen
verstehen, erklären muß, steht die Gesellschaftslehre vor jenem