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Die früher behandelten Unterschiede zwischen F o r s c h e r , K r i t i k e r u n d

S c h r i f t s t e l l e r ( F e u i l l e t o n i s t e n ) kehren in ihrer Weise in der

Kunst wieder

1

.

V. Der Fortschritt

Ein innerer Fortschritt ist in der Kunst unmöglich. Zwar kann

jedes Geschlecht das, was Kunst ist, nur auf seine Art erreichen, aber

indem sie über das Höchste, das rein Menschliche, nicht hinaus kann,

wird sie eben nie mehr erreichen, als der menschlichen Natur an-

gemessen ist. Die kindliche Fabel von der „Höherentwicklung der

Menschheit“ auf Darwinscher Grundlage ist ja nun vielfach selbst

von der Naturwissenschaft aufgegeben; denn die Regeln Mendels

lassen den Begriff der Entwicklung der Art, insbesondere der

menschlichen Art, widersinnig erscheinen. Es gibt immer wieder

nur ein Hinaufstreben zum höchsten Gipfel, kein Überfliegen. Wer

einen gotischen Dom, wer eine Statue des Phidias je begriffen hat,

wird über den Versuch, sie zu übertreffen, nur lächeln können. Wer

auch das Visionäre, Seherische in der Kunst der Vorzeit und der

Naturvölker begriffen hat, wird verstehen, daß es Fortschritt in der

Kunst nicht gibt.

Auch von diesem Gesichtspunkte aus erweisen sich die radikalen

Versuche der modernsten Kunst als höchst unglückliche. Das Wort

„der Zeit ihre Kunst“ hat seine Berechtigung lediglich im Hinblick

auf die besonderen, ohnehin jeweils von selbst gegebenen Mittel und

Wege, dem letzten Ziele der Kunst nahezukommen, nicht im Hin-

blick auf den Inhalt dieses Zieles selbst. Das ewige, metaphysische

Element, in dem Kunst zuletzt allein wurzelt, bleibt für den

menschlichen Geist unter allen Himmelsstrichen, Völkern und ge-

sellschaftlichen Umständen das gleiche. Das künstlerische Urteil ist

allgemeingültig und übergeschichtlich, obwohl die Stile wechseln. /

1

Siehe oben S

.

353 f.