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Daß wir den Staat einen „Stand“ nennen, will zur heutigen Mei-
nung nicht passen. Diese will ihn zur absoluten Mitte des organisa-
torischen Lebens machen (wie es im Sinne der Lehre vom Urvertrag
gelegen ist) und für sich organisierte Stände nicht anerkennen. Aber
der Staat ist nicht absolute Mitte, sondern nur für den Umkreis
seiner ihm arteigenen Aufgaben Mitte. Der Staat ist ein anstalt-
liches Gebilde neben andern, etwas „Organisatorisches“ und gehört
als solches dem Bereiche des Handelns an. Daß und inwiefern er ein
Stand ist, wird sich sogleich zeigen.
Ehe wir weitergehen, erinnern wir noch an die Natur des
H a n d e l n s . — Nach individualistischer Auffassung ist das Han-
deln als eine mechanische Durchführung des Gedachten anzusehen.
Das Handeln wäre dann selbst wieder ein nur werkzeuglicher Be-
standteil des menschlichen Wesens und der Staat als ein Gebilde des
Handelns / auch von da aus wieder nichts Eigenes, sondern nur
werkzeuglich. — Nach individualistischer Auffassung ist das Han-
deln aber nicht äußerlich ausführend (exekutiv), nicht werkzeuglich,
sondern eine neue Ebene, auf der der Geist entfaltet, vollendet, ver-
wirklicht wird. Wie das Wort den Gedanken, so folgt dem Gedach-
ten die Tat gestaltend nach, gemäß dem Satze: „Was im Schauen
angesammelt wurde, bricht in Wirken aus.“
Das staatliche Handeln gehört dem veranstaltenden oder organi-
sierenden Handeln an. Das organisierende ist ein Handeln bewir-
kendes Handeln und ist damit vorgestaltendes Handeln, ein solches,
das schöpferisch ist. Denn indem es ein anderes Handeln hervor-
lockt, hervorreizt, veranlaßt es damit auch einen bestimmten gei-
stig-sittlichen Inhalt.
Zum Handeln gehört auch M a c h t . Denn nur wer die Macht
zu handeln hat, handelt. Handeln ist keine Möglichkeit, sondern
eine äußere Wirklichkeit. Schon die Gebärde ist nur möglich, wenn
der Arm nicht gelähmt wird, um so mehr das veranstaltende Han-
deln, das in ein Äußern von Veranlassung, Zwang, stofflich-tech-
nischer Einwirkung auf die Außenwelt, auf die Bewegung von Gü-
tern und Menschen übergehen muß.
Indem der Staat einen bestimmten Umkreis des Handelns in sich
schließt, ist er auch ein Stand. Ist der Staat ein Stand, so ist er doch
nicht ein Stand unter Ständen, sondern ein durch eine umfassende
Art vor anderen ausgezeichneter Stand. Wie im Bereiche des Geisti-